Meditieren mit dem Löwenzahn

Spiritualität

Im Buch des Theologen Peter Wild und der Heilpflanzenfachfrau Andrea Küthe-Albrecht spielt die Verbindung zu Pflanzen eine wichtige Rolle. Wie das?

Über Meditation hat Peter Wild oft geschrieben. In mehreren Büchern gibt der ehemalige Leiter der Fachstelle Spiritualität der Zürcher Landeskirche sein Wissen weiter. Sein neues Buch überrascht. Er tritt darin in einen Dialog mit einer Frau, die eine ganz andere Art von Spiritualität verkörpert als er: Andrea Küthe-Albrecht ist Biologin, ausgebildet in Ayurveda und Heilpflanzenkunde. Sie ist die Leiterin der «Freya-Heilpflanzenschule».

Intensiver Mailwechsel

Im Gespräch mit «reformiert.» erklärt Wild: «Ja, wir sind verschieden. Aber uns verbindet das Vertrauen ins Göttliche, das uns beide seit der Kindheit begleitet.»

Die Autorin und der Autor kennen sich seit fünf Jahren. Im Buch veröffentlichen sie Ausschnitte aus ihren E-Mails und Briefen. Sie reflektieren darin ihre religiösen Biografien und leiten zu Wahrnehmungs- und Meditationsübungen an. Damit möchten sie die Leserinnen und Leser ermutigen, den eigenen Zugang zur Religion und Spiritualität zu finden oder zu stärken.

Peter Wild beschreibt im Buch, wie er schon als Mönch in Einsiedeln und nach dem Klosteraustritt in christlicher, buddhistischer, islamischer und kabbalistischer Meditation geschult wurde. Er steuert Übungen bei, wie man sich der eigenen spirituellen Entwicklung bewusster werden kann.
Andrea Küthes Zugang zur Spiritualität sind Pflanzen: Bäume, Büsche, Blumen, mit denen sie in Verbindung tritt. Die Basis dazu bilden meditative Grundübungen wie Körperwahrnehmung und Beobachtung des Atems. Küthe beschreibt etwa, wie sie sich einem Baum nähert, der sie anzieht, wie sie sein Energiefeld wahrnimmt, ihn berührt und bei ihm verweilt. Sie sagt: «Dabei kann ich auftanken. Je nach Pflanze spüre ich etwa Leichtigkeit, Reinheit oder Verspieltheit.» So nehme sie den «göttlichen Urgrund» in der Natur und sich selbst wahr.

Für kirchlich geprägte Menschen mag die Idee der von Gott durchdrungenen Natur ungewöhnlich sein. Die christliche Theologie betont tradi­tionell, dass der Schöpfer und die Schöpfung strikt voneinander getrennt sind. Diese Anschauung setzte sich in der Kirche früh durch, und auch die Reformatoren beharrten darauf. Grundlage ist der Schöpfungsbericht in Genesis 1. «Gott hat keine weltliche Qualität, und die Welt hat keine göttliche Qualität», schreibt der Zürcher Professor für Altes Testament, Konrad Schmid, in seinem Grundlagenwerk «Schöpfung».

Mystischer Ansatz

Doch diese strikte Trennung wurde früh immer wieder hinterfragt. Vor allem mystische Traditionen fanden im Menschen einen göttlichen Kern, der durch Meditation kultivierbar sei. In dieser Tradition stehen der Autor und die Autorin.

Küthe sagt: «Das Göttliche ist für mich die Kraft, die in allem wirkt.» Die Biologin, die auch für Kranke Pflanzentinkturen herstellt, ist reformiert, ihre älteste Tochter wurde jüngst konfirmiert. «Ich habe mich nie vom christlichen Weg getrennt, aber ich habe ihn geöffnet.» In ihrer Kirchgemeinde in Cordast FR engagiert sie sich in der Frauengruppe.

Es seien die Geburten ihrer vier Kinder gewesen, die sie mit der «Urkraft des Weiblichen» in Kontakt brachten und ihr diesen tieferen Zugang zur Natur eröffneten. Im Buch weist sie mehrmals darauf hin, sie beschreibe ihre persönliche Erfahrung und erhebe keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Die Erfahrungen deuten

Und wie geht es Peter Wild mit den Naturmeditationen? Tritt er auch mit Holunderbusch und Löwenzahn in Verbindung? Seine Antwort: «Für mich ist diese Verbindung noch ungewohnt. Ich gehe sie spielerisch ein.» Ihm ist wichtig: Die Erfahrung des Göttlichen, in welcher Form es sich auch immer ereignet, sei unverfügbar und ein Geschenk. «Und es braucht stets eine deutende Gemeinschaft oder eine bestätigende Beziehung, um herauszufinden, ob eine solche Erfahrung eingebildet oder stimmig ist.»

Dies sollen auch Kurse ermöglichen, die er mit Küthe anbietet, und zu denen mehrheitlich kirchennahe Menschen kommen. Besonders Frauen seien von den Naturübungen beglückt, «denn viele von ihnen sind mit diesen Erfahrungen bereits vertraut».

Peter Wild, Andrea Küthe: Vor deinen Füssen. Edition Spuren, 2019.