Reinhold Bernhardt, wie feiern Sie Ostern?
Wahrscheinlich wie viele andere. Ich besuche einen Gottesdienst und hoffe, dass es schöne Frühlingstage sein werden. Ich gehe gerne nach draussen und erlebe das Wiedererwachen der Natur.
Gemäss einer Umfrage in Deutschland ist für 79 Prozent der Befragten Ostern in erster Linie ein Familienfest. 23 Prozent besuchen einen Gottesdienst. Früher war das anders. Hat die Osterbotschaft heute noch ihre Bedeutung?
Da gibt es das ganze Spektrum: angefangen bei den Christen und Christinnen, welche die Osterbotschaft regelrecht leben. Sie besuchen in der Karwoche die täglichen Passionsandachten, beschreiten Kreuzwege, um das Leiden Jesu physisch mitzuvollziehen, wie etwa die Gläubigen, die Kreuze durch die Via Dolorosa in Jerusalem tragen. Für andere ist Ostern ein Kulturgut, das man als Familien- oder Frühlingsfest feiert. Und am Ende des Spektrums stehen diejenigen, denen das Ganze nichts bedeutet. Als eine Schulklasse in Ostdeutschland eine Kirche besuchte, in der ein Kreuz hing, fragten manche Kinder, was das Pluszeichen an der Wand solle. Sie kannten nicht einmal mehr das Symbol des Christentums.
In Predigten werden Ostern und die Auferstehung Christi oft mit dem Erwachen der Natur verglichen. Reicht dies?
Eigentlich nicht, der Vergleich bietet zwar schöne Anknüpfungspunkte, gerade für die poetischen Besinnungen. Aber es besteht ein gravierender Unterschied: Beim Erwachen der Natur geht es um ein Aufwachen aus dem Winterschlaf. Bei der Auferstehung geht es um ein ganz neues Leben aus dem Tod, um etwas vollkommen Neues, eine Neuschöpfung. Wenn man ein Bild aus der Natur benutzen möchte, wäre es jenes von einem abgestorbenen Baumstumpf, aus dem ein neuer Spross wächst. Diese Vorstellung passt besser als die gängigen Verwandlungsbilder, etwa das Bild von der Raupe, die zum Schmetterling wird.