Viele sagen: Die Kirche ist irrelevant, sie holt mich nicht ab. Christian Adrian, was ist mit der Kirche los?
Christian Adrian: Dass die Kirche im Moment nicht mehr viel verkörpert, was den Menschen wichtig ist, stimmt leider. Dass sie dabei ins Abseits gerät, ist eine reale Gefahr.
Kritische Menschen reiben sich vor allem daran, dass die Kirche eine Glaubensinstitution sei, mit einem Buch als Fundament, dessen «Märchen» man heute, im aufgeklärten Zeitalter, nicht mehr glauben könne.
Laut dem französischen Denker Michel Foucault wird unser Verständnis von Wirklichkeit durch Diskurse geprägt. Diese bestimmen die Art und Weise, wie über Zusammenhänge gesprochen wird und gesprochen werden darf. Im Grunde ist Wirklichkeit also nicht Natur, sondern menschgemacht, wobei verschiedene Verständnisse von Wirklichkeit miteinander konkurrieren. Noch einfacher gesagt: Wirklichkeit ist vor allem Geglaubtes. Das gilt sogar für naturwissenschaftliche Erkenntnisse. In diesem Sinn setzen heute herrschende naturwissenschaftliche oder auch neoliberale Diskurse das biblische Wirklichkeits- und Menschenverständnis ins Unrecht und Abseits. Diese Diskurse sind aber nicht sakrosankt. Das Potenzial, die befreiende Kraft biblischer Geschichten und ihres Wirklichkeitsverständnisses muss aufgezeigt und wieder bewusst und spürbar werden.
Was ist in diesem Zusammenhang die Aufgabe der Kirche?
Das Evangelium so zu verkündigen und zu leben, dass es eine befreiende und plausible Botschaft wird, eine Einladung zur Vielfalt, eine Art Koordinatensystem in einem abgrundtiefen Raum der Freiheit. Die Kirche zielt auf eine neue Welt, in der Leben und Zusammenleben im Gleichgewicht sind: ich und die anderen, Freiheit und Regelung. Kurz: Chaos und Kosmos in kreativer und lebensfreundlicher Spannung miteinander vereint.