Die Religionslandschaft im Amazonasgebiet verändert sich schnell: Lange waren die Katholiken in der Mehrheit, bereits 2022 könnte ihr Anteil an der Bevölkerung unter 50 Prozent fallen. Die Pfingstkirchen hingegen wachsen kontinuierlich.
Den Erfolg charismatischer Gemeinden erklärt Theologe Leandro Fontana damit, dass sie schon sehr lange präsent sind: 1911 wurde die «Assembleia de Deus» (Gottesversammlung) gegründet. Die inzwischen grösste Pfingstkirche Brasiliens zählt zwölf Millionen Anhänger. Fontana forscht am Institut für Mission und Weltkirche in Frankfurt zur Pfingstbewegung.
Lange vernachlässigt
«Die Region wurde lange von Politik, Gesellschaft und der katholischen Kirche vernachlässigt», sagt Fontana. Die Politik entwarf in den 1950er-Jahren einen Entwicklungsplan für das Gebiet. Die prekäre Infrastruktur und die Perspektivlosigkeit vieler Bewohner zeugen noch heute vom Rückstand. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1965 begann die Kirche mit koordinierter Pastoralarbeit am Amazonas.
Amazonien erhielt von Staat und Kirche nie die nötige Aufmerksamkeit. «Deshalb stiessen die Pfingstgemeinden mit ihrer Verheissung von Wohlstand, Heilung und Gemeinschaft auf offene Ohren», sagt Fontana. Der katholische Theologe würdigt die Pfingstkirchen für ihren «pastoralen Dienst an Menschen, die Opfer von Landflucht, Urbanisierung und Armut wurden».
Die Machos entmachtet
Pfingstgemeinden sind nicht nur in indigen geprägten Gesellschaften präsent. Sie sind auch in der oberen Mittel- und der Oberschicht angekommen. «Vor allem die Frauen erfahren in der Pfingstkirche und ihren religiösen Praktiken ein Mehr an Lebensqualität», schreibt die katholische Theologin Margit Eckholt von der Universität Osnabrück in ihrem Aufsatz «Pentekostalisierung des Christentums?».
Frauen würden gestärkt, erhielten mehr Unabhängigkeit in der Familie, was ihre Rolle auch in der Gesellschaft aufwerte. Der Anthropologe Henri Gooren beschreibt in einer Studie die Pfingstgemeinden gar als «eine der grossen sozialen Kräfte in Lateinamerika, die den Machismo entmachten».
Flache Hierarchien, rascher Gemeindeaufbau, Laienprediger und die Fähigkeit, sich lokalen Kulturen anzupassen, lassen die Pfingstbewegung schnell wachsen. Der indigene Charakter der Theologie ist mittlerweile in allen Konfessionen präsent. Dieses «neue Phänomen» markiert gemäss Fontana «die intellektuelle Unabhängigkeit vom europäischen Gedankengut».
Gestärkte Konservative
Schnell formieren sich überall neue charismatische Gemeinden. Eine Garage oder ein Schuppen reicht. Anders bei der katholischen Kirche: Es dauert lange, bis neue Pfarreien entstehen. Wegen des Priestermangels kommt in abgelegenen Gebieten zuweilen nur einmal im Jahr ein katholischer Geistlicher vorbei.
Um den Problemen zu begegnen, diskutiert die katholische Kirche, ob sie in der Region verheiratete Männer zu Priestern weihen will und wie mit Macht und Verantwortung umzugehen ist (siehe Kasten).
Grüne Agenda versus Wohlstandspolitik
Ob der Vatikan mit den Beschlüssen der Amazonas-Synode den Mitgliederschwund wirklich aufhalten kann, ist ungewiss. Zu beobachten ist bereits, wie sich der Wandel in der Religionslandschaft auf die Politik auswirkt.
In Brasilien spreche sich die Bischofskonferenz tendenziell für eine sozialdemokratische, grüne Agenda aus. «Hingegen unterstützen evangelikale, pfingstlerische und auch katholisch-charismatische Christen mehrheitlich eine neoliberale Politik, welche den Wohlstand fördert», sagt Forscher Leandro Fontana.