In sieben Minuten überzeugen

Arbeitsmarkt

Die Organisation Powercoders ermöglicht Menschen mit Migrationserfahrung den Einstieg in die Informatikbranche und tut etwas gegen den Fachkräftemangel.  

Mit Notizheft und Stift in der Hand wartet Mariia Hoienko mit 20 weiteren Jobsuchenden aufs Startzeichen. Ihr Blick wirkt angespannt und ist auf die Vierertische im modernen Konferenzraum des Zürcher On-Gebäudes gerichtet. 

Dort nehmen die Mitarbeitenden der zehn Firmen Platz, die sich auf der Bühne nebenan in 90-sekundigen Company Pitchs eben vorstellten, klappen ihre Laptops auf, legen Schreibzeug parat. Konzentration und Nervosität liegen in der Luft, gesprochen wird kaum. Gleich beginnen die ersten Interviews.  

Lücken im Lebenslauf

Die 25-jährige Mariia kommt aus der Ukraine und nimmt am Arbeitsintegrationsprogramm von Powercoders teil. Seit acht Jahren hilft die Non-Profit-Organisation Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, in der IT-Branche Fuss zu fassen – und trägt dazu bei, den Fachkräftemangel zu verringern. 

Mariia hat Rechts- und Sportwissenschaften studiert. Mangels Arbeitsmöglichkeiten in der Schweiz eignete sie sich in den vergangenen zwei Jahren in Online-Kursen Kenntnisse in Webdesign und Programmieren an. «Ich bin kreativ, organisiere gern und interessiere mich für die neuen Technologien», sagt sie. Für einen Job reichte es trotzdem nicht. Mariia lebt von der Sozialhilfe. 

Im Frühling 2024 bewarb Mariia sich mit 600 Leuten zwischen 18 und 55 Jahren bei Powercoders und erhielt einen der 60 Arbeitsintegrationsplätze. Das Programm umfasst ein zweiteiliges Bootcamp sowie ein Praktikum in der IT-Branche mit Mentoring. 

Die Leute sind hoch motiviert, sagen praktisch alle Firmen.
Christina Gräni, Medienverantwortliche Powercoders

Viele Quereinsteiger

Der heutige Karrieretag ist der vorläufige Höhepunkt für die Teilnehmenden: In jeweils siebenminütigen Interviews treffen sie auf Firmen, die ein Praktikum anbieten, können sich kurz vorstellen und einen ersten Eindruck hinterlassen. Damit kämen sie schon weiter als je zuvor bei der Arbeitssuche, sagt Christina Gräni, Medienverantwortliche bei Powercoders.

Bei den meisten Teilnehmenden handelt es  sich um Quereinsteiger in die IT-Branche. Aufgrund ihres Fluchthintergrunds klaffen in ihren Lebensläufen zudem Lücken. «Im normalen Verfahren überstehen ihre Bewerbungen deshalb oft nicht einmal die erste Runde», erklärt Gräni. Mustafa Zengin kennt diese Erfahrung. Der 34-Jährige war Airforce-Helikopter-Pilot in der Türkei, lebt seit fast vier Jahren als politischer Flüchtling in der Schweiz und hat sich in den vergangenen Monaten über 70-mal beworben – ohne Erfolg. Trotz mittlerweile guter Deutschkenntnisse mit C1-Diplom und verschiedenen Weiterbildungen als Software Test Automation-Ingenieur. Ihn interessiert der Praktikumsplatz beim Bundesamt für Informatik und Telekommunikation brennend: «Ich bin dankbar für die Gelegenheit, mich persönlich vorstellen zu können.»

Trotz inzwischen guter Deutschkenntnisse mit C1-Diplom und Weiterbildungen als Software-Test-Automation-Ingenieur ist Zengin bis jetzt arbeitslos geblieben. Er ist dankbar für die Gelegenheit, sich persönlich vorstellen zu können.

Energie für den Marathon

Die Unternehmen, die am Karrieretag Speed-Interviews führen, stehen in engem Kontakt mit Powercoders. «Die spezielle Situation der Teilnehmenden erfordert intensivere Begleitung und auch Goodwill im Team», sagt Christina Gräni. Dafür seien die Leute hoch motiviert. «Dieses Feedback erhalten wir von praktisch allen Firmen.» Die Kosten für das Programm werden von den Firmen sowie von den Kantonen und Gemeinden getragen. 

Nun ist Pause. Mariia und Mustafa haben die wichtigsten Interviews hinter sich und plaudern jetzt mit Mitbewerbenden. Die Stimmung ist deutlich gelöster. Jemand von Powercoders verteilt Schokolade: Energie für den zweiten Teil des Interview-Marathons, der bald ansteht. 

Anfang Dezember ist klar: Mustafa und Mariia haben einen Praktikumsplatz. Er beim Bundesamt für Informatik und Telekommunikation, sie arbeitet für den Sportschuhhersteller On.