Recherche 20. Februar 2023, von Rita Gianelli, Mario Pult

Pilotprojekt schafft Perspektiven

Tourismus

Neu gibt es das «Betriebs-Progresso», auf die Be­dürfnisse eines Hotels zugeschnitten. Ein erster Lehrgang startete im Nobelhotel Waldhaus in Sils im Engadin

Aus dem Saal «Sunny Corner» im Erdgeschoss ertönen Stimmen und Maschinenlärm. Zwölf junge Männer aus Eritrea im Alter von 22 bis 28 Jahren und eine junge Eritreerin stehen, in drei Gruppen verteilt, um verschiedene Teppiche und bei einem Polstersessel. Mittendrin: Isaura Pressavento, eine kleine Frau mit strenger Stimme. «Vergessen Sie nie­mals, das richtige Reinigungsmittel für diesen Teppich zu nehmen», sagt sie und deutet auf einen Perserteppich am Boden.Isaura Prezzavento leitet die Progresso-Betriebskurse im Hotel Wald­haus in Sils Maria. Ziel ist es, dem nicht ausgebildeten Hilfspersonal im Gast­gewerbe eine Basisausbildung in Gastrobereichen wie Küche, Haus­wirtschaft oder Reinigung zukommen zu lassen. «Für mich ist das Neu­land, normalerweise leite ich Fort­bildungskurse für Profis», sagt sie. «Aber ich bin sehr zufrieden mit den Teilnehmenden.» Etwas Neues ist diese Art von Zusammenarbeit mit Hotels nicht für Jean Claude Schmocker, den Leiter Bil­dungs­marketing Projekte bei Hotel und Gas­tro Formation Schweiz. Schmocker koordiniert die Progresso-Fortbildungskurse, die es seit über 25 Jahren für Hilfskräfte im Gastgewerbe gibt.

Herausforderung Sprache

«Neu ist aber», so Schmocker, «das sogenannte Betriebs-Progresso, das wir ganz auf die Bedürfnisse der jeweiligen Betriebe zuschneiden.» Eine Herausforderung im Waldhaus in Sils Maria, so Schmocker, sei die Sprache gewesen. «Wir unterrichten nun erstmals eine rein eritreische Klasse.» Eine Hürde vor allem auch für die Kursleiterin Isaura Prezzavento. «Es fehlt den Teilnehmenden an genauen Fachkenntnissen betreffend  Tech­nik. Ich versuche, ihnen diese in einfachen Worten zu erklären.» Die Eritreer sprechen untereinander Tigrinya. Doch alle verstehen Italienisch, ein Überbleibsel der italienischen Kolonialherrschaft in Eri­trea. Viele der Geflüchteten lebten zudem früher im Tessin.

Waschen lernen

Nachdem die Teppiche und die Sessel gereinigt sind, müssen die Maschinen gewartet werden. Einer der Teilnehmenden macht sich Notizen. Noch vor dem Mittagessen haben die Kursbesucher Grundkenntnisse in Materialpflege und in der Handhabung von Pflegemitteln. Für Claudio Dietrich, Direktor des Hotels Waldhaus in Sils, ist diese Schulung eine logische Fortführung der Zusammenarbeit mit eritreischen Geflüchteten. «Es ist auch in un­serem Interesse, dass unsere Angestellten ausgebildet werden und möglichst lange bei uns bleiben.»Am Nachmittag geht es weiter mit der ersten Lektion in der Wäscherei. Bereits am Vortag lernten die Teilnehmenden die Wäschebereiche in eine «zona pulita» und eine «zona sporca», also eine saubere und auch eine schmutzige Zone, einzuteilen. «Stopp!», ruft Isaura Prezzavento, als einige der Männer die Wäschekörbe sofort anpacken und die Wäsche verteilen wollen. «Zuerst erklä­re ich, dann könnt ihr loslegen.»

Alle profitieren

Den ersten Teil der Ausbildung haben die eritreischen Angestellten im November während der Zwischen­saison abgelegt. Im Mai, wenn die Tore des Hotels wiederum geschlossen sind, folgt der Abschlussblock samt Prüfung, direkt im Hotel.
Wer die Prüfung dann besteht, bekommt im Hotel Waldhaus eine Jahresstelle. Idris, der Elektriker gelernt hat, freut sich über die neue Perspektive. Auch Robiel, der aus Eritrea geflüchtet ist, weil er mit 18 Jahren nicht in den Krieg ziehen wollte, und somit keinen Beruf erlernen durfte, hätte eine Zukunft im Nobelhotel. In einem Beruf, von dem er kei­ne Ahnung hatte. Das Betriebs-Progresso ist ein Pi­lotprojekt in Graubünden, das in Kooperation mit Hotel & Gastro For­mation Schweiz, dem Hotel Waldhaus und der kantonalen Fachstelle Integration erfolgt. Fachstellenleiter Felix Birchler sieht nur Vorteile: «Alle profitieren von dem Angebot. Die Hotellerie wie die Mitarbeitenden und der Kanton, der weniger Sozialhilfe leisten muss, weil die Menschen früher selbstständig sein kön­­nen.» 

Betriebs-Progresso

Hotel & Gastro Formation Schweiz engagiert sich seit über 90 Jahren für die Aus- und Weiterbildung in Hotellerie und Gastronomie. Die Institution wird von HotellerieSuisse, GastroSuis­­se und Hotel & Gastro Union getragen. Das
Betriebs-Progresso ist auf einen einzelnen Hotelbetrieb zugeschnitten. Wer ein Progresso-Zertifikat besitzt, erhält 200 Franken mehr Lohn.
www.progresso.ch