Recherche 26. Oktober 2023, von Felix Reich

Das Einmaleins des Christentums

Glauben

Eine Gruppe Theologinnen und Theologen möchte mit einer Buchreihe zum mündigen Christsein inspirieren. Den Anfang macht Rowan Williams. Sein Beitrag hat es in sich.

Es sind grosse Fragen, die Rowan Williams in einem schmalen Band beantworten will. Der Theologe erklärt, was er unter der Taufe versteht, widmet sich dem Gebet und entfaltet sein Bibelverständnis, setzt sich mit dem Abendmahl auseinander. Er bewegt sich in theologischer Tiefe und mit sprachlicher Souveränität, die bemerkenswert sind.

Fundament der Vielfalt

Vor neun Jahren ist «Christsein heute» im Original erschienen, nun hat es Simon Dürr ins Deutsche übersetzt. Der englische Duktus, an den sich die Übertragung zuweilen etwas zu stark anlehnt, ist zwar gewöhnungsbedürftig, doch behält er gerade so seinen charakteristischen Sound: Williams spricht seine Leserinnen und Leser oft direkt an. Er will zwar überzeugen, argumentiert aber mit gesunder Demut.

Williams’ Beitrag eröffnet die Reihe «Glauben heute», mit der sieben Theologinnen und Theologen aufzeigen wollen, «wie ein lebendiger, reflektierter und mündiger Glaube entdeckt und gelebt werden kann», wie sie in der Einleitung schreiben. Zu der Gruppe gehört der Zürcher Theologieprofessor Ralph Kunz. Er spricht von «Verfassungstexten, die einen Gesprächsraum eröffnen» sollen. «Die reformierte Kirche lebt von ihrer Vielfalt, doch gibt es ein Fundament, auf dem sie steht.»

Gott will Versöhnung

An dieser Verfassung formuliert Williams. Er knüpft die persönliche Gottesbeziehung an eine konsequente Zugewandtheit zur Welt. So betont er, dass die Taufe nichts zu tun habe mit einem Auserwähltsein. Vielmehr «sollte ein getaufter Christ jemand sein, der keine Angst davor hat, sich dem Chaos in seinem Innern ehrlich zu stellen, und der zugleich draussen ist, wo die Menschlichkeit gefährdet ist».

Die Innerlichkeit als ein durch kirchliche Gemeinschaft zu erneuerndes Gottvertrauen und der Auftrag, sich in der Nachfolge Christi auf die Welt einzulassen, sind zwei Seiten derselben Medaille, die im gesamten Buch präsent sind. Daher beschreibt Rowan Williams auch das Gebet als ein Ereignis, das von der «Auflösung von Konflikt und Rivalität» konstituiert wird: Würden die Menschen ernsthaft beten, «so würden sie sich versöhnen.»

Gemeinschaft der Fremden

Rowan Williams ist als Anglikaner in der Ökumene zu Hause. Er geht in der Kirchengeschichte weit zurück, um seine Zeugen aufzurufen. Er knüpft aber auch an die Reformation an, insbesondere wenn es um sein Priesterbild geht. 

Das Abendmahl, das an den Tod am Kreuz erinnert, stellt Williams konsequent ins Licht von Ostern: «Die Eucharistiefeier ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn man nicht an die Auferstehung glaubt.» Die Jüngerinnen und Jünger erkennen den Auferstandenen daran, dass er mit ihnen isst (Lk 24, 28–43). Auch deshalb sei die Gastfreundschaft zentral beim Abendmahl. Williams verweist hier auf den unbeliebten Zöllner Zachäus, zu dem sich Jesus zum Essen einlädt (Lk 19,1–10). 

Mit seiner Gastfreundschaft will Christus zur Gastfreundschaft ermutigen. Deshalb sei die Kirche nur als Gemeinschaft Fremder denkbar. Eine der Eigenschaften des Abendmahls, welche die grösste Veränderung erwirke, sei der Umstand, «dass sie dich zwingt, die Person neben dir als von Gott gewollt zu sehen».

Verwandlung neu gedacht

Implizit verleiht Williams der Verwandlung, die sich im Abendmahl vollzieht, neue Tiefenschärfe. Wiederum geht sein Blick nach innen und nach aussen: Das Abendmahl ist Stärkung und Auftrag. Als «freies Geschenk», das Gott zuspricht, «nicht weil wir Recht haben, sondern weil wir falschliegen und verwirrt sind». Und als Aufgabe, «daran zu arbeiten, so gut wir können», Gottes Absicht in der Welt zu verwirklichen. Gottes Wille erkennt, wer sich nach dem liebenden und heilsamen Handeln Jesu ausrichtet.

In seiner klugen und jederzeit nachvollziehbaren Argumentation  wird Rowan Williams der Komplexität der Bibel gerecht. Fortgeführt werden soll die Buchreihe mit Neuauflagen von vergriffenen Texten und Beiträgen aus dem englischen und dem französischen Sprachraum. Mitherausgeber Ralph Kunz kündigt an, verschiedene Perspektiven von der feministischen Theologie bis zur Schöpfungstheologie einbeziehen zu wollen.