Wenn der Staat nach der Taufe fragt

Migration

Die Taufe garantiert Flüchtlingen keinen Schutzstatus in der Schweiz, selbst wenn die Rückkehr in ein Land droht, in dem keine Religionsfreiheit herrscht.

In der Schweiz habe er sofort den Kontakt zu Menschen christlichen Glaubens gesucht, sagt Edris Sadjadi. «Es war ein brennendes Thema für mich.» Heute ist der gebürtige Afghane Mitglied in der Freikirche Vineyard in Aarau. Er kam 2011 in die Schweiz und stellte einen Antrag auf Asyl. Einer der Gründe, die er darin nannte, war, dass er vom Islam zum Christentum konvertiert sei.

Zwar ist Sadjadi im Iran aufgewachsen und von da in die Schweiz migriert, doch weil er einen afghanischen Pass besitzt, hätte ihm die Rückkehr in den islamistischen Talibanstaat gedroht. Dort steht auf den Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion die Todesstrafe.

Die Antwort des Herzens

Sein Glaube war für Edris Sadjadi bereits ein Grund gewesen, sich auf seine gefährliche Reise zu machen.  Im Iran gewannen die konservativen Kräfte in der Politik um die Jahrtausendwende nach einer kurzen  Phase relativer Entspannung politischen Einfluss. Die Jugendarbeitslosigkeit war hoch. Es kam zu Protesten. Gerade in dieser Zeit geriet Sadjadi, Sohn einer afghanischen Flüchtlingsfamilie, in eine Krise. Wegen «finanzieller Probleme» musste er sein Studium aufgeben und die Universität verlassen.

Auf der Suche «nach innerem Frieden» habe er einen Spielfilm über Jesus gesehen, erzählt Sadjadi, der von sich sagt, ein gläubiger Muslim gewesen zu sein. Er habe in der Bibel gelesen und dabei gemerkt: «Jesus ist anders.» Wegen der Kriege, in die islamistische Gruppierungen involviert waren, habe er den Islam zunehmend hinterfragt. «Er machte für mich keinen Sinn mehr.» Ihm sei klar geworden, dass Jesus sein Vorbild sei. «Das war die Antwort meines Herzens», sagt Sadjadi heute.

Das Motiv soll keine Rolle spielen

Frank Mathwig weiss, dass sein Satz überraschend klingt, vor allem wenn ihn ein Theologe sagt: «Das Motiv der Konversion darf für den Asylentscheid keine Rolle spielen.» Der Beauftragte für Theologie und Ethik bei der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) verfasste mit dem Migrationsbeauftragten David Zaugg eine Studie über Konversionen im Asylverfahren. Ausschlaggebend für den Entscheid müsse die Zumutbarkeit der Rück- kehr sein. Selbst wenn sich jemand taufen lasse, um der Ausschaffung zu entgehen, könne daraus eine Gefährdungslage entstehen, die einen Schutzstatus verdiene. Der Beweggrund für die Taufe sei aus reformierter Sicht ohnehin Privatsache. «Die Ernsthaftigkeit des Taufwillens wird unterstellt, aber nicht geprüft», betont Mathwig.

Die Verantwortung der Kirchen Es sind oft Freikirchen, die Asylsuchende aus muslimischen Ländern taufen. Nach einer Konversion ist eine Rückkehr nach Iran, Pakistan oder Afghanistan oft nicht zumutbar, weil dort das Ausleben des christlichen Glaubens lebensgefährlich ist. Zaugg sagt, in freikirchlichen Verbänden werde «differenziert und verantwortungsvoll mit dem Thema Konversion im Kontext von Asyl umgegangen». Mit der Taufe sei die Erwartung verbunden, dass sich die Menschen aktiv am Gemeindeleben beteiligen. fmr

Im Iran sah Sadjadi für sich keine Perspektive. Eine Rückkehr in das kriegsversehrte Afghanistan war keine Option. Weil er zur Zeit der Flucht seiner Familie noch ein Kleinkind war, sei Afghanistan «ein fremdes Land» für ihn. Mit seinem Interesse am neuen Glauben wuchs der Wunsch, in einem vom Christentum geprägten Land zu leben, in dem Religionsfreiheit herrscht. Edris Sadjadi entschied sich, die Reise nach Europa zu wagen.

In der Schweiz beantragte Sadjadi Asyl. In verschiedenen Gemeinden suchte er eine religiöse Heimat.  2012 liess er sich in der Persischen Christlichen Kirche in Zürich taufen. Kurz darauf sollte der Asylentscheid gefällt werden. Sadjadi brachte als Beleg für seine Konversion das Zertifikat einer Bibelschule mit, die er in Zürich besucht hatte. Den Taufschein hatte er von der Kirche noch nicht erhalten. Sadjadi argumentierte, dass er nach einer Ausschaffung seines Lebens nicht mehr sicher sein könne, weil er seinen neuen Glauben leben wolle.

Ich habe den Behörden sozusagen eine Predigt gehalten.
Edris Sadjadi, 40, Flüchtling aus Afghanistan

Im Verfahren habe seine Bekehrung durchaus eine Rolle gespielt, sagt Sadjadi. In der Befragung sei sein Bibelwissen geprüft worden, und er habe erzählen müssen, wie er gläubig geworden sei. «Ich habe dann sozusagen eine Predigt gehalten und meine Erlebnisse erzählt.» Doch das Interesse an seinem Bekenntnis habe nicht sehr lange angehalten.

Glaubhaftigkeit geprüft

Da Asylgründe nicht statistisch erfasst werden, fehlen Zahlen, wie viele Personen jährlich wegen einer Konversion aufgenommen werden. Die Migrationsbehörde prüfe wie bei allen anderen Asylgründen deren Glaubhaftigkeit, teilt das Staatssekretariat für Migration mit. «Bei einer Konversion werden die Gesuchstellenden zum Prozess ihres Religionswechsels befragt.» Wichtig sei, ob die Konversion bereits im Herkunftsland oder nach der Einreise in die Schweiz erfolgt sei. Ein wichtiger Faktor sei auch, ob eine Person im Herkunftsland aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit an Leib und Leben gefährdet sei.

Seine Konversion reichte nicht, um in der Schweiz Asyl zu erhalten. Als Grund vermutet Sadjadi, dass er keinen Taufschein aus dem Iran besitzt und dort keinen Kontakt zu Christen hatte. Der Asylantrag wurde zwar abgelehnt, doch Sadjadi wurde vorläufig aufgenommen, da eine Ausschaffung nach Afghanistan unzumutbar war. Seit 2017 besitzt er die Aufenthaltsbewilligung B. Kürzlich hat Edris Sadjadi den Schweizer Pass beantragt.