Recherche 28. Oktober 2020, von Rita Gianelli

"Reformierte würden das sehr bedauern"

Partei

Für den Bündner Ständerat Stefan Engler ist ein neuer Parteiname nicht die Lösung für die Probleme der Christlichen Volkspartei (CVP). Im Gespräch erklärt er, warum.

Welche Rolle spielt die Religion für Sie?
Stefan Engler: Religion ist das Fundament, auf dem auch meine poli­tische Arbeit basiert. Religion hat für mich immer auch eine politische Komponente. Sie ist ein Kompass, der uns vor Übertreibung und Masslosigkeit schützt. Religion lebt im Alltäglichen und in der Politik. Das Christentum, wofür das C in unserem Parteinamen steht, beanspruchen wir in unserer Partei aber nicht exklusiv. Nicht überall, wo C draufsteht, muss es christlich zu und her gehen. Und dort, wo auch kein C draufsteht, finden sich alleweil Menschen, mit dem gleichen christlichen Kompass.

Nun will die CVP-Spitze dieses C aus dem Parteinamen eliminieren, um mehr Menschen aus dem ur­banen Raum anzusprechen. Ein Argument: Das C wird zu sehr mit «katholisch» assoziiert. Studien zeigen, dass die Konfession bei Wählern an Bedeutung verliert. Warum wollen Sie daran festhalten?
Für mich verkörpert das C eine Politik aus christlicher Verantwortung. Es steht für Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Das soll meiner Meinung nach im Namen der Partei sichtbar bleiben, als Orientierungspunkt für unsere Arbeit, aber auch für unsere Wähler. Für mich bedeutet die christliche Haltung auch, dass wir uns immer bewusst sind, dass unsere Arbeit Stückwerk ist, welche auch misslingen kann, aber bei der wir immer auch eine zweite oder dritte Chance erhalten. Das C fallenzulassen, heisst, kein Gesicht zu zeigen. Wir würden zwar, so hoffe ich, die gleiche Politik machen, aber sie wäre anonymer. Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund dafür, das C preiszugeben. Die heutige Situation zeigt, dass unsere ­politische Konkurrenz schwächelt. Dies sollten wir besser nutzen, um inhaltliche Positionen zu festigen, statt uns jetzt mit unserem eigenen Namen zu beschäftigen.

Woran denken Sie?
Wir haben es in den letzten Jahren verpasst, mit dem C gezielt Mit­glieder zu werben, Offenheit zu demonstrieren – vor allem auch den Reformierten gegenüber. Ich bin übrigens erstaunt darüber, wie viele Zuschriften ich von Reformierten erhielt, die bedauerten, wenn wir das C verlieren würden. Anstatt das C für die Menschen lesbar zu machen, herrscht bei uns immer noch das Gefühl der Scham, darüber zu sprechen, was wir eigentlich darunter verstehen.

Einen Versuch gab es ja vor zwei Jahren. Der schlug aber fehl.Die Kommunikation richtete sich auf die Verteidigung des christ­lichen Abendlandes und gegen religiösen Fundamentalismus.
Genau. Wir wurden dafür kritisiert, Menschen mit anderem Kulturhintergrund ausschliessen zu wollen. Das war nie die Idee. Aber es bedeutet falsch verstandene Toleranz, wenn man die eigene Haltung dafür aufgibt, um alle verstehen zu wollen. Christliche Politik schliesst niemanden aus. In der Frage der Flüchtlingspolitik verlangt die Humanität, dass, wer in die Schweiz kommt, hier Anspruch auf eine anständige Behandlung hat.

In der Flüchtlingspolitik ist Ihre Partei geeint. Anders bei der Konzernverantwortungsinitiative oder Themen der Familienpolitik, wie beispielsweise der Präimplantationsdiagnostik. Wo früher die CVP im Parlament das Zünglein an der Waage spielte, ist es heute schwierig mit der Berechenbarkeit Ihrer Partei. Hat die CVP Angst, sich zu stark zu positionieren?
Es war immer schon und es bleibt schwierig in unserer Partei, die ganze Breite der unterschiedlichen Meinungen aufzufangen, das gebe ich zu. Diese Breite ist einerseits sehr bereichernd, aber auch sehr belastend, wenn es darum geht, «Kante» zu zeigen. «Sowohl als auch»-Antworten auf gesellschaftspolitische Fragen zu geben, kann nicht befriedigen. Die Namensdiskussion legt dabei nur einen ­Schleier über die eigentliche Frage, nämlich ob wir eher Mitte links, Mitte rechts oder Mitte mitte sind. Wie gesagt, darüber sollten wir diskutieren.

«Die Mitte» ist der Vorschlag Ihrer Parteispitze für den neuen Parteinamen. Wie gefällt er Ihnen?
Das C war immer unser Alleinstellungsmerkmal, die Klammer, die unsere Partei zusammenhält. «Die Mitte» ist nur der kleinste gemeinsame Nenner: alles und nichts.

Wird eine Namensänderung den Geist der Partei verändern?
Möglich, aber kein Grund für mich, aus der Partei auszutreten. Nach über 40 Jahren Mitgliedschaft verbindet einen mehr als nur der Parteiname. Solange der Inhalt auch noch stimmt.

Stefan Engler, 60

Der passionierte Jäger war Grossrat, Regierungsrat und -präsident in Graubünden und ist seit 2011 einer der beiden Bündner Ständeräte sowie Verwaltungsratspräsident der Rhätischen Bahn. Der zweifache Familienvater absolvierte das Gymnasium an der Klosterschule in Disentis und studierte Jura in Bern. Im Herbst gab er das Bündner CVP-Parteipräsidium ab.