Bibelverse auf dem Rückzug

Gesellschaft

In der Kopfzeile der Todesanzeigen, wo früher stets ein Bibelspruch stand, ist heute vor allem Weltliches zu lesen: Was es mit diesem Wandel auf sich hat.

Noch vor zehn, fünfzehn Jahren durfte es auf keiner Todesanzeige fehlen, das Zitat aus einem Psalm oder einer anderen Bibelstelle. Nach und nach haben sich Trauernde dann auch mal für eine säkulare Quelle entschieden, und heute ist das Weltliche eigentlich Standard: eine Weisheit von Antoine de Saint Exupéry; eine Einsicht von Arthur Schopenhauer; ein Bonmot von Albert Einstein; Verse von Novalis; ein Zitat von Elisabeth Kübler-Ross; ein chinesisches Sprichwort.

Philosophen, Volksweisheit, Schriftstellerinnen und Wissenschaftler haben somit Jesus, Johannes, Paulus und Petrus nachhaltig aus den Kopfzeilen der Todesanzeigen und Leidzirkulare verdrängt. Ganz so, als hätte die Bibel und damit die Kirche ausgerechnet in einer jener Lebenssituationen, wo sie bisher eine unbestrittene Trösterrolle innehatte, ausgedient.

Tröstlicher Dialekt

Barbara Jost, Trauerbegleiterin der Stadt Burgdorf, kann diesen Trend klar bestätigen. «Wir haben 14 Seiten mit Zitatvorschlägen; ein Drittel sind Bibelverse, zwei Drittel stammen von Grössen aus Kultur und Wissenschaft», sagt sie. Seit mindestens zehn Jahren sei festzustellen, dass die Hinterbliebenen in den allermeisten Fällen «sehr bestimmt» einen weltlichen Spruch wählten. «Unsere Mutter war im Fall gar nicht fromm, etwas Biblisches würde nicht zu ihr passen», heisse es etwa. Entsprechend falle die Wahl dann auf Verse oder Prosa aus der Feder eines Poeten oder Philosophen.

«Manchmal helfen wir auch bei der Übertragung von hochdeutschen Gedichtversen ins Berndeutsche», berichtet die Trauerbegleiterin. Dabei müsse man die Kunden jeweils vorwarnen, dass sich der Spruch nach der Übersetzung vermutlich nicht mehr reime.

Keine frommen Showmaster

Jost stellt auch fest, dass die Hinterbliebenen auf dem Friedhof immer öfter keine Pfarrperson dabeihaben möchten. «Wir wollen nicht, dass es fromm wird», laute auch hier das Argument. Als Trauerbegleiterin versuche sie jeweils, Gegensteuer zu geben, denn sie finde: «Eine Pfarrerin oder ein Pfarrer, das steht einem Verstorbenen doch einfach zu. Die meisten von ihnen sind ja mindestens christlich erzogen worden.»

Manchmal leuchte das den Trauernden ein; sie zeigten sich dann einverstanden, eine Pfarrperson beizuziehen. «Vor allem, wenn ich ihnen sage, dass ein Theologe nicht als frommer Showmaster auftrete, sondern der Abdankung einen würdigen Rahmen gebe.»

Was ein Trauerspruch aussagt

Was aber sind die Gründe, weshalb immer mehr Menschen ihre Verstorbenen nicht mehr mit einem gedruckten Bibelzitat verabschieden möchten? «Ich denke, das hat mit dem Megatrend der Säkularisierung zu tun, mit der zunehmenden Entfernung vieler Menschen von der Kirche», sagt Manuel Dubach, Pfarrer in Burgdorf. Diese Entwicklung habe zur Folge, dass auch der Bezug zur Bibel und ihren Inhalten verloren gehe.

«Für mich als Pfarrer ist der Trauerspruch auf der Todesanzeige hilfreich, denn er sagt etwas aus über die glaubensmässige Ausrichtung der verstorbenen Person», so Dubach weiter. Daran lasse sich in der Abdankungspredigt anknüpfen.

Gerade die wenigen noch anzutreffenden biblischen Zitate würden von den Leuten oft bewusst noch zu Lebzeiten ausgewählt, weil sie ihnen etwas bedeuteten; vielleicht sei es der Konfirmationsspruch, vielleicht eine besonders tröstliche Bibelstelle. Oft hole man sich die Inspiration bei anderen Todesanzeigen; je weniger Biblisches hier jedoch zu finden sei, desto weniger pflanze es sich auf diesem Weg fort.

Falsche Autoren

«Meine wissenschaftliche Neugier lässt mich bei literarischen oder philosophischen Zitaten, die ich nicht kenne, besonders genau hinsehen; ich kläre jeweils ab, ob der aufgeführte Spruch auch wirklich von Hölderlin, Einstein oder Saint-Exupéry stammt», sagt Dubach. Hier leiste unter anderem ein Link von der Universität Bielefeld gute Dienste. Falsche Zuschreibungen kämen nämlich im allgemeinen Gebrauch gar nicht so selten vor. Gerade der wortgewaltige Reformator Martin Luther – obwohl er hierzulande auf Traueranzeigen kaum vorkomme – sei dafür besonders anfällig. «Kaum zu glauben, was Luther an Sprüchen, Weisheiten und Bonmots fälschlicherweise zugeschrieben wird.»

Als Theologe etwas irritiert reagiert Manuel Dubach, wenn er auf einer Todesanzeige eine Lebensweisheit liest, die vom Verstorbenen selber stammt. Daraus spreche die Auffassung, dass man sich als Trauernde nichts von einer göttlichen Instanz mitgeben lassen wolle, schliesslich habe man als Mensch ja alles im Griff. In diesem Sinn erteile man lieber dem Verstorbenen noch einmal und abschliessend das Wort. «Ich selber bedaure dieses Über-alles-Stellen des Individuums auch noch angesichts des Todes.»