Verwitwet und vergessen – ein Buch will das ändern

Gesellschaft

Von wegen alt, grau und einsam: Frauen, deren Partner stirbt, müssen sich neu orientieren. Die meisten starten nach einer harten Zeit nochmal ins Leben.

Cornelia Kazis, Sie sind seit 14 Monaten verwitwet, wie geht es Ihnen heute?

Cornelia Kazis: Es geht mir gut, und ich bin froh, dass Sie die Frage zeitbezogen stellen, denn darauf kann ich konkret antworten. Allgemein formuliert würde es mir wesentlich schwerer fallen, denn jeder Tag ist anders. Als Witwe ist es ohnehin nicht ganz einfach: Wenn man sagt, es gehe einem gut, gerät man sofort in Verdacht, man sei nicht richtig traurig. Wenn ich aber erzählen würde, wie es ist, mit diesem schweren Abschied umzugehen, den Schmerz, die Verzweiflung und die Einsamkeit schildern würde, wäre das schnell zu viel.

Es ist trotzdem schön, wenn jemand nachfragt?

Natürlich, und ich antworte meist mit: Es geht mir so gut wie möglich. Leider gibt es so etwas wie ein Glücksverbot für Witwen. Da zeigt sich auch schon ein Unterschied zu den männlichen Verwitweten: Mit Männern freut man sich, wenn sie schnell über die Trauer hinwegkommen. Die Frauen müssen eine Trauerzeit von ein, zwei Jahren absolvieren, sonst werden sie beargwöhnt. Tatsächlich ist es aber so, dass Frauen es besser schaffen, allein zurechtzukommen.

Sie haben dieses Buch geschrieben, weil es kaum Literatur über die Witwenschaft gibt.

Ja, und was es gibt, ist meist aus der Ich-Perspektive geschrieben und bleibt in der individuellen Betroffenheit stecken. Ich wollte etwas lesen über Forschungsergebnisse, Bewältigungsstrategien, Genderfragen und über rechtliche, finanzielle und historische Aspekte. Etwas darüber, was Witwenschaft im letzten Jahrhundert bedeutete und wie die Situation heute aussieht. Mich interessierten auch die verschiedenen Arten von Zurückgelassen werden: zum Beispiel, wenn sich Männer durch eine Demenz Stück für Stück verabschieden oder durch einen Suizid plötzlich weg sind. Es gibt zwar Forschung zu Witwen, aber sie ist bisher im gesellschaftlichen Schatten geblieben. Das wollte ich ändern, und das Echo auf mein Buch ist enorm.

In Ihrem Buch finden sich Interviews mit Wissenschaftlerinnen aus Psychologie, Soziologie und Recht. Aber auch Porträts von Frauen, die in unterschiedlichen Lebensphasen verwitweten.

Das war mir wichtig; es gibt ja auch junge Frauen, die den Lebensgefährten verlieren. Auch darüber wird nicht gesprochen. Offenbar kommt bei der Witwenschaft einiges zusammen, das grau und unsichtbar macht: Alter, Tod, Trauer, Einsamkeit. Damit befasst man sich ungern. Deshalb war sie bisher auch kein gesellschaftliches Thema.

Erstaunlich, denn 80 Prozent der Verwitweten sind Frauen, in der Schweiz sind das immerhin rund 320 000 Betroffene.

Ja, und viele von ihnen starten nochmal neu ins Leben, erobern sich neue Kompetenzen, entdecken das Reisen und erleben einen Autonomieschub. Bei meinen Lesungen begegne ich häufig hochinteressanten, interessierten und vitalen Frauen – das Gegenteil vom Bild der unsichtbaren Hinterbliebenen.

Welche Rolle spielt die Religiosität im Thema Witwenschaft?

Auf jeden Fall spielt sie eine, wie immer, wenn es um Tod und Verlust geht. In den Interviews haben mir die Frauen von ihren Jenseitsvorstellungen erzählt. Und es wurde deutlich, dass es nirgendwo bessere Räume gibt als in der Kirche, um grosse Lebensübergänge zu begehen. Die Abdankung meines Mannes fand in der Basler Elisabethenkirche statt. In dieser konfessionell offenen Atmosphäre konnten wir wunderbar Abschied nehmen.

Cornelia Kazis, 67

Buchautorin und langjährige Fachredaktorin für Gesellschaftsfragen in den Hintergrundsendungen von Radio SRF. Sie ist Mutter und Grossmutter und seit 14 Monaten verwitwet.
«Weiterleben, weitergehen, weiterlieben», Xanthippe Verlag, 2019, Fr. 34.80.