Was Gutmenschen zur Flüchtlingsfgrage sagen

Flüchtlinge

Wer sich für Flüchtlinge engagiert, wird schnell als Gutmensch diffamiert. Warum? Drei Betroffene suchen in einem Podium nach Antworten.

2011 landete der Begriff «Gutmensch» in Deutschland auf dem zweiten Platz bei der Wahl zum «Unwort des Jahres». In der aktuellen Flüchtlingsdebatte taucht dieses Unwort immer wieder auf. Drei Menschen, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit vielfach mit diesem Begriff etikettiert sehen, haben kürzlich im Rahmen der Gesprächsreihe «Flüchtlingsnot» in der Helferei Grossmünster in Zürich über das Schimpfwort und den Mut zu guten Taten diskutiert.

Lieber eine eigene Meinung. Knackeboul, mit richtigem Namen David Lukas Kohler, erfolgreicher Musiker und Moderator, der schon in Flüchtlingsheimen Workshops angeboten hat, fühlt sich als öffentliche Person quasi verpflichtet, sich in solchen Fragen zu äussern: «Lieber eine kleine Karriere mit einer eigenen Meinung als eine Mainstreamkarriere, bei der ich mich nicht öffentlich äussern darf.»

Die Publizistin und Islamwissenschafterin Amira Hafner-Al Jabaji, Moderatorin der «Sternstunde Religion», würde sich lieber mit positiveren Aspekten der Gesellschaft als mit Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus beschäftigen. Doch angesichts eines weitverbreiteten Un- und Halbwissens über diese Themen könne sie gar nicht anders, als aufklärend zu wirken. Doch das gelte nicht nur für unsere Gesellschaft, «auch Muslime müssen aufgeklärt werden». Und Christoph Sigrist vom Grossmünster sieht sich als Pfarrer von der Kirche beauftragt, das Evangelium in die Öffentlichkeit hineinzutragen, gerade auch in der Flüchtlingsfrage.

Schlagworte helfen nicht. Knackeboul versteht sich nicht als «Retter der Welt», doch angesichts des Wohlstands und Überflusses im Westen «sollten wir uns solidarisch zeigen». Auf die Frage von Moderator Felix Reich, Redaktionsleiter von «reformiert.», ob man Schlagworte wie «Gutmensch», «Scheininvalide», «Kriminaltouristen» oder «Sozialindustrie» mit Gegenschlagworten kontern solle, entgegnete Knackeboul: das erinnere ihn an die «newspeak» im Roman «1984» von George Orwell, in dem gute Begriffe in schlechte und schlechte Begriffe in gute umgeschrieben werden. Amira Hafner-Al Jabaji wehrt sich angesichts der Komplexität des Themas gegen die oberflächlichen Schlagworte. Schon das Wort «Flüchtling», so Knackeboul, werde den vielen Individuen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund nicht gerecht. Sie würden damit zu einer blossen Gruppe von Menschen, die weniger Rechte hätten und sich nicht mehr frei bewegen dürften – und gleichzeitig zu etwas Bedrohlichem.

«Ja, und es geht noch weiter», so Christoph Sigrist, «in letzter Zeit wird zunehmend weniger über Flüchtlinge, sondern nur noch über Zahlen und Aufnahmeprozente gesprochen – weg vom Einzelschicksal, hin zur Schubladisierung.»

Grenzen anerkennen. Viele Menschen haben genug vom Flüchtlingsthema und schotten sich ab, teils auch aus einem Ohnmachtsgefühl heraus. «Man muss seine eigenen Grenzen anerkennen», ist Hafners Rezept dagegen. «Wichtig ist, konkrete Handlungsperspektiven zu haben, sei dies als Journalist, Pfarrerin oder als Handwerker.» Fehlten solche Perspektiven, änderten viele plötzlich ihre Haltung, würden ausländerfeindlich und argumentierten, man könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen.

Er frage sich oft, was man gegen das weitverbreitete Denken im Gut-Böse-Schema gesellschaftspolitisch tun könne, sagte Knackeboul. Menschen neigten dazu, sich gegen andere abzugrenzen und einen Buhmann zu suchen, der an ihrem persönlichen Elend schuld sei. Solchem Denken den Boden zu entziehen, sei wohl am besten mit Bildung und Aufklärung möglich. Er plädierte auch dafür, die – zweifellos bestehenden – Herausforderungen in der Asylpolitik nicht primär als Probleme zu sehen, sondern das Potenzial zu nutzen, das durch Menschen anderer Kulturen zu uns gelange. Christoph Sigrists Rezept gegen das Schwarzweiss-Denken heisst: Begegnung. Aus langjähriger Erfahrung wisse er, dass mit persönlichen Begegnungen Ansätzen von Ab- und Ausgrenzung am besten zu begegnen sei.

Die engagierte Gesprächsrunde war sich, bei allen negativen Erscheinungen der Flüchtlingsdebatte, einig, dass heute auch positive Aspekte zu verzeichnen sind. «Ich erhalte viel Rück­halt und Ermutigungen von Leuten», erzählte Amira Hafner-Al Jabaji. Viele liessen sich nicht von der sich stark ausbreitenden Men­schen­verachtung und dem Rassismus in den Neuen Medien anstecken. Und ne­ben rechtlichen Verbesserungen – Stichwort Antirassismus-Strafnorm – seien auch gesellschaftliche Er­rungenschaften wie eine höhere Sensibilität hinsichtlich Interkulturalität und verschiedener Religionen sowie gegenüber den Menschenrechten feststellbar.