Wasser - Das Ursymbol des Lebens

Serie «Elemente»

Was ist übrig geblieben vom vielfältigen Wasserkult in Graubünden?

Die Wortverwandtschaft ist kein Zufall: Mare, Madre – Mer, Mère – Meer, Mutter. Wie im Mutterleib menschliches Leben entsteht, begann alles Leben der Erde einst im Meer. Kein Wunder, dass die Menschen seit jeher das Wasser als göttlich verehren.

Von der Kraft des Wassers erzählt auch die Bündner Volkskunde. Allerlei Wassermänner, -jungfern und -feen, die an Quellen und Bächen leben, sagten Menschen die Zukunft voraus, sorgten für Unwetter oder nahmen Einfluss auf deren Fruchtbarkeit. Viele Gerichtsstätten befanden sich der reinigenden Wirkung wegen an einem Bach, bei einem Brunnen oder auf Brücken.

Verbieten. Die Kirche versuchte die heidnische Verehrung des Wassers zu bekämpfen. Vergeblich. «Die Überwindung des heidnischen Wasserkultus gelang dem Christentum erst dadurch, dass es die Quellen selber christianisierte, ihnen einen christlichen Sinn gab», schrieb der ehemalige Churer Bischof, Christian Caminada, in seinem Buch «Die verzauberten Täler». So wurden an Quellen, Flüssen und Brunnen Kirchen und Kapellen erbaut und nach christlichen Heiligen und Märtyrern benannt.

Zum Beispiel die Fontauna de Nossadunna in Ruschein: Unter einer Marienkapelle liegt die Quelle, von der das Wasser zum Brunnen geführt wurde. Christliche Wallfahrten ersetzten die heidnischen Feste. Ein bekannter Pilger­ort war Ramosch im Unterengadin, wo der Legende nach «Sonch Flurin», ein Pfarrer im siebten Jahrhundert, Wasser zu Wein verwandelt haben soll. Auch die Wallfahrt zur Mauritius-Quelle in St. Moritz soll christianisiert worden sein. Auf Kulte zu Ehren einer Wassergottheit in St. Moritz deuten Funde aus der Bronzezeit: Zwei Schwerter, ein Dolch und eine bronzene Nadel waren gemäss Caminada vermutlich Weihgaben zur Weissagung der Zukunft. Dass an der mineralreichen Mauritiusquelle erst im 19. Jahrhundert ein Kurhaus gebaut werden durfte, sei nicht zuletzt auf den Glauben an einen «Quellengeist» zurückzuführen, den man nicht verärgern wollte, meint der Journalist Heini Hofmann.

Erhalten. Hygienevorschriften, ein flächendeckendes Wasserversorgungsnetz und die weitgehende Bannung der Naturgefahr Wasser mögen Gründe sein, weshalb Wasserkulte heute kaum mehr zelebriert werden. Ganz verschwunden sind volkstümliche Bräuche allerdings nicht. Taufrituale feiern die Menschen noch immer auch in der Natur. Kaum ein Alpgottesdienst, an dem nicht ein Kind getauft wird, am Bach oder an Brunnen. In einigen Gemeinden des Unterengadins und des Münstertals bringen manche Familien nach alter Tradition das Taufwasser aus dem eigenen Brunnen mit. Dieses gesegnete Wasser wird nach dem Taufgottesdienst nicht einfach weggeleert, sondern unter den Tauftisch geschüttet.

Für Christian Caminada besass das rhätische Volksbrauchtum grossen Wert, weil es die Menschen in den Fragen nach dem Sinn des Lebens unterstützte. «Ganze Antworten», meinte Caminada jedoch, «gab erst das Christentum.»

Serie Elemente

Bestimmen Natur und Ele­mente den Glauben der Menschen in den Alpen?
In der Serie «Elemente» geht «reformiert.» dieser Frage nach. In loser
Reihenfolge erscheinen Artikel zu einem der Elemente.