Am 1. April 1953 erhielt Dag Hammarskjöld ein Telegramm aus New York mit einem ganz speziellen Stellenangebot: dem Posten des Generalsekretärs der UNO. Zuerst dachte der schwedische Diplomat an einen Aprilscherz. Aber als die ersten Journalisten anriefen, wurde ihm klar: Ihm wurde der «unmöglichste Job der Welt», so sein Vorgänger Trygve Lie, angeboten.
Seinem Tagebuch, «eine Art Weissbuch meiner Verhandlungen mit mir selbst – und mit Gott», vertraute er an: «Nicht ich, sondern Gott in mir.» Hier spürt man, wie sich Hammarskjöld göttlich berufen fühlte. Aus strengem Pflichtbewusstsein heraus formulierte er, dass die Bürde des Amtes zu tragen ein Akt der Unterwerfung sei.
Geheimdienste und Konzerne
«Nicht ich» – das war auch seine diplomatische Linie. Mit allen Seiten reden, ein Vermittler sein ohne Nähe zu einem politischen Lager, das charakterisierte Dag Hammarskjöld und machten ihn zu einer moralischen Leitfigur. Der streitbare Politologe Jean Ziegler, der ihm 1961 im Kongo begegnete, sagt: «Wäre Hammarskjöld im Kongo nicht ermordet worden, wäre die UNO heute eine Weltregierung».
Es sollte anders kommen. Am 18. September 1961 stürzte der UN-Generalsekretär mit seinem Flugzeug ab. Er war unterwegs, um den Sezessionistenführer Moise Tschombé zu treffen, der den gerade in Unabhängigkeit entlassenen Kongo ins Chaos stürzte. Seither steht die Frage im Raum: War es ein Pilotenfehler oder Mord? Zahlreiche mysteriöse Umstände begleiteten das Geschehen im Grenzgebiet zwischen Kongo und Nordrhodesien, dem heutigen Sambia. Viele gehen von einem Komplott aus. In den wildwuchernden Spekulationen kommen die üblichen Verdächtigen vor: CIA, britischer und belgischer Geheimdienst, das Apartheid-Regime Südafrikas und natürlich auch Minenkonzerne. Denn in der abgespaltenen Südprovinz Katanga förderte die belgisch-britische Union Minière achtzig Prozent des Urans für den Atombombenbau der USA.
Mitte September will nun die UNO einen neuen Untersuchungsbericht vorlegen, um mehr Licht ins Dunkel dieses geheimnisvollen Absturzes zu bringen. Medial interessiert vor allem der Polit-Krimi. Aber Nachfolger wie Kofi Annan gedenken Hammarskjölds vor allem wegen einem: Er hatte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges die Idee lanciert, die UNO zu einer friedenstiftenden und über den Staaten stehenden Macht auszubauen.
Das markanteste Datum, das ihn in den Annalen der UN-Geschichte für immer verewigt, ist die Suezkrise. Im Dezember 1956 überwachten 6000 Soldaten im Auftrag der UNO den Abzug der britisch-französischen Truppen. Gerade die Franzosen und Engländer, die Hammarskjöld – vermeintlich ein blasser und formbarer Technokrat – 1953 auf den Schild gehoben hatten, mussten nun erfahren: Da ging einer zu Werke, um die UNO in ein Instrument glaubwürdiger Friedensstiftung zu verwandeln.
Vater der Blauhelme
Für Jean Ziegler, Mitglied des UNO-Menschenrechtsrates, legte er damit den Grundstein für eine überfällige Reform der UNO. In seiner kürzlich erschienen Autobiographie mit dem Titel «Der schmale Grat der Hoffnung» (Verlag Bertelsmann, 2017) spielt der «Vater der Blauhelme» eine bedeutende Rolle. Denn der Schwede hat, wie später Kofi Annan, das Vetorecht der Grossmächte im Sicherheitsrat bekämpft. «Das Vetorecht muss aufgehoben werden, sagt Ziegler. Syrien lässt ihn hoffen, dass sich dies bald konkretisiert. Bisher habe das russische Veto verhindert, eine Flugverbotszone einzurichten oder UN-Truppen zu entsenden. Nun aber spürten alle Vetomächte die Konsequenzen des Syrienkonfliktes. «Das lässt mich hoffen, dass das Vetorecht abgeschafft wird.»
Dag Hammarskjöld wollte diesen Weg beschreiten. 1956 setzte er ein deutliches Signal: Keine der fünf grossen Vetomächte sollte sich an der Schutztruppe für Ägypten beteiligen. Nur Soldaten aus kleinen, neutralen Staaten wurden eingesetzt.
Ringen mit Gott
Dass da einer mit machtpolitischem Selbstbewusstsein der UNO Schlagkraft verleihen wollte, verbirgt das Ringen mit Gott, das den Schweden täglich begleitete. Nach seinem Tod wurde ein Konvolut von 600 Notizen gefunden und posthum unter dem Titel «Zeichen am Weg» veröffentlicht. Hier wird erfahrbar, wie die Rezeption von mittelalterlichen Mystikern als Leitfaden für eine moderne politische Ethik genutzt werden kann.
Auch 1956, kurz nach seinem Suez-Erfolg, will er nicht triumphieren, sondern notiert: «Dein eigener Einsatz ‹bewegt das nicht›, nur Gott – doch freue dich, dass Gott deinen Einsatz braucht in seinem Werk.» Noch bei seiner schicksalsträchtigen Kongo-Mission begleitete ihn das Büchlein von Thomas von Kempen «Die Nachfolge Christi».
«Nicht ich, sondern Gott in mir»
Im Flugzeug fand man den toten Generalsekretär mit der Schrift Martin Bubers «Ich und Du» vor, die er ins Schwedische übersetzte. Bald sollte dann auch sein Tagebuch ins Deutsche übersetzt werden, aus dem auch die mystische Maxime stammt: «Icke jag utan gud i mig.» Zu deutsch: «Nicht ich, sondern Gott in mir.»