Recherche 29. Januar 2020, von Constanze Broelemann

Wieder mehr Leichtigkeit des Seins

Fasten

Sich übersättigt zu fühlen an Angeboten für Körper und Seele ist heutzutage eher die Regel. Pfarrer Daniel Hanselmann setzt auf`s Heilfasten.

Bald ist wieder Fastenzeit. Auch ausserhalb religiöser Tradition ist Fasten ein Trend. Doch was ist Fasten eigentlich genau?

Daniel Hanselmann: Fasten ist erst mal mehr als Abnehmen. Kommt je­mand zu mir und sagt, ich will bloss abnehmen, dann ist er bei mir falsch. Beim Fasten geht es eher um die Reingung von Körper und Seele. Die Gewichtsabnahme ist eine positive Nebenwirkung davon.

In der Gemeinde und auch ausserhalb davon bieten Sie Fastengruppen an. Was passiert da?

Die Gruppen, die ich betreue, fasten jeweils acht Tage. Zeitlich fasten wir immer in der Zeit vor Ostern. Bevor es losgehen kann, führe ich mit allen Teilnehmenden ein kurzes Gespräch. Ich will den Gesundheitszustand und mögliche Medikationen wissen. Denn Schwangere und Men­schen, die Psychopharmaka einneh­men, sowie Kinder sollten auf keinen Fall fasten. Zum Einstieg in die Fastenwoche bekommen alle Rationen an Glaubersalzen. Mit dem natürlichen Abführmittel begehen sie den ersten Fastentag als Glaubertag. Am Abend kommen wir alle wieder zusammen und löffeln gemeinsam eine Gemüsebrühe.

Als Pfarrer liegt Ihnen die spirituel­le Seite des Fastens am Herzen. Wie bringen Sie das in die Fastengruppen ein?

Wir essen die allabendliche Fastensuppe im Schweigen. Wie in klösterlicher Tradition lese ich dazu etwas aus der Literatur zum Thema Fas­ten. Anschliessend erzählen die Teilnehmenden, wie es ihnen ergan­gen ist an dem Tag. Dann führe ich in eine Meditation und Kontemplation ganz nach orthodoxer Tradition. Wochenthemen wie «loslassen» oder «Vertrauen» in meinen Körper, dass er mich in der Fastenperiode gut versorgt, sind Themen der kleinen Exerzitien, die ich anbiete. 

Innert acht Tagen verzichten die Teil­nehmenden auch auf Genussmit-
tel wie Kaffee. Zeigt sich so etwas wie Entzugserscheinungen?

Bei einigen schon. Es können Kopfschmerzen auftreten, wenn der Kaf­fee auf einmal weggelassen wird. Aber dafür habe ich Hilfsmittel aus meiner Fastenapotheke. Spezielle Tees, die ich dann verabreichen kann. Denn die Idee ist, dass sich die Fastenden acht Tage lang ausschliesslich von verdünnten Obst- und Frucht­säf­ten sowie Wasser und Tee ernähren.

Von welchen Erfahrungen haben die Teilnehmenden berichtet? Was
hat das Fasten mit ihnen gemacht?

«Ich habe die Leichtigkeit des Seins entdeckt», sagte mal ein Teilnehmer. Und das bringt es wohl ganz gut auf den Punkt. Fastende fühlen sich kör­perlich leichter und besonders auch geistig. Ich erlebe bei mir selbst eine Form von «Begeisterung», fühle mich freier. Die Sinne werden schärfer. Eine Frau, die regelmässig teilnimmt, sagt: Ich kann während des Fastens immer auf mei­ne Brille verzichten.

Kann regelmässiges Fasten Auswirkungen auf die Gesundheit haben?

Ja, und zwar im positiven Sinn. Wer einmal im Jahr fastet, kann dem Griff der Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes ein we­nig mehr entkommen. Diabetes lässt sich medizinisch nachweislich verbessern. Menschen mit Rheuma erzählen, dass sie während des Fastens weniger Schmerzen haben.

Warum haben Sie sich zum Fastenleiter ausbilden lassen?

Weil ich anderen Menschen die po­si­tive Wirkung vom Fasten vermitteln möchte. Ich selbst hatte mal zwanzig Kilogramm Übergewicht, die sich während des Studiums angesammelt haben. Mit dem regelmässigen Fasten konnte ich einiges an Ge­wicht verlieren und vor allem das Gewicht nachhaltig halten. Das ist der Clou. Bis heute faste ich jeweils zwei Mal pro Jahr. 

Zum Fasten gehört auch das Fastenbrechen. Welches Ritual hat Ihre Fastengruppe?

Wir kommen zusammen und alle erhalten einen Apfel. Denn auch der Kostaufbau nach dem Fasten muss vorsichtig vor sich gehen. Dann feiern wir gemeinsam Abendmahl und die Worte: «Sehet und schmecket, wie freundlich der Herr ist» wirken wesentlich intensiver als sonst. Da fliessen schon mal Tränen der Rührung bei den Teilnehmenden.

Auf diese Weise kann man durch den Verzicht die Freude am Essen wieder erhöhen, oder? 

Oh ja. Ich faste so, dass ich am Montag nach Palmsonntag das Fasten breche. Dann habe ich die Karwoche für den langsamen Kostaufbau und erlebe sie wirklich als karg. Das möchte ich auch genauso. Zu Ostern ist dann kein Schokohase vor mir sicher. Wenn ich wieder alles essen kann, fühle ich mich selbst als wäre ich auferstanden.

Daniel Hanselmann, 51

Der Pfarrer in Sagogn Laax Falera hat eine Ausbildung zum ärztlich geprüften Fastenleiter DFA an der Deutschen Fastenakademie in Frankfurt absolviert. Zusätzlich machte er ein MAS in
Spiritualität an der Universität Zürich. Die Methode des Heilfastens hat der deutsche Arzt Otto Buchinger erfunden. Bis heute wird sie in der Buchinger
Klinik am Bodensee angewandt. https://www.buchinger-wilhelmi.com/