Recherche 24. Februar 2021, von Rita Gianelli

Erste reformierte Schweizer Pfarrstelle in Jerusalem

Jerusalem

In Jerusalem will ein neuer Ver­­ein erstmals eine reformierte Schweizer Pfarrstelle schaffen. Eine, die das Projekt mitinitiiert hat, ist Ivana Bendik, Pfarrerin aus Chur.

Frau Bendik, derzeit tanzen die Men­schen überall zum Welthit «Jersusalema». Was bedeutet Ihnen die Stadt Jerusalem?

Ivana Bendik: Nun, ehrlich gesagt, ich bin eher der Tel-Aviv-Typ (lacht), der Strand, modernes Leben in der pulsierenden Stadt, dort könnte ich mich sofort niederlassen. Jerusalem ist anders. Ein geschichtsträchtiger Ort. Sie ist der Ursprung unserer Religion und Symbol religiöser und politischer Vielfalt. Alle drei monotheistischen Religionen sind eng mit Jerusalem verbunden.

Kirche sein in Jerusalem, das will neu der «Verein Evangelische Kirche in Israel» ermöglichen. Sie gehören zu den Vereinsgründern. Wie kommen Sie dazu?

Mein Pfarrkollege Nico Rubeli, den ich aus Filisur und Basel kenne, frag­te mich an. Ich sagte spontan zu, unter anderem auch, weil es ein Pionierprojekt ist. Mir gefällt die Idee der Gründung einer Kirche als Gegentrend zur heutigen Realität der schrump­fenden Kirche. Es ist für mich eine Ehre und eine Freude, daran mitzuarbeiten.

Braucht es denn mehr Kirchen in Jerusalem?

Kirche ist ja ein mehrdeutiger Begriff. Wir verstehen darunter kein Gebäude, davon hat es genug in Jerusalem. «Kirche sein» unter Freundinnen und Freunden, das ist die Idee. Jeder, der Mitglied wird, kann sich einbringen. Wir wollen gemein­sam unterwegs sein als Kirche und Schweizer Christinnen und Christen ihre Verbindung zu diesem Land lebendig halten.

Gibt es ein Bedürfnis dafür?

Vom christlichen Glauben aus betrachtet schon. Im Judentum sind unsere Wurzeln. Doch wie überall gibt es auch hier Vorurteile gegenüber den Nachfahren unserer Herkunftsfamilien. Wenn man die Möglichkeit hat, mit der «Evangelischen Schweizer Kirche in Israel» zu reisen, und mit unterschiedlichen Menschen in Kontakt zu treten, können idealerweise Vorurteile abgebaut werden.

Wie wollen Sie eine Kirche in Jerusalem konkret umsetzen?

Eine Pfarrstelle in Jerusalem, das ist unser Ziel. Die Pfarrperson wäre einerseits Ansprechperson für Schwei­zer Christinnen und Christen, die in Israel leben. Das gibt es bis heute nicht. Andererseits ist sie zugleich auch die Verbindung zur Schweiz. Sie wäre vor Ort und für ein Angebot an Kursen, Ausflügen, Weiterbildungen und Veranstaltun­gen ver­antwortlich, die von der Schweiz aus besucht werden können. Die An­gebote stünden allen Interessier­ten offen. Wenn wir tausend Mitglieder haben, können wir die Pfarr­stelle finanzieren.

Ein evangelisches Pfarramt haben auch Deutschland, Österreich oder Schweden?

Ja, das stimmt. Aber für reformierte Schwei­zer Christinnen und Christen gibt es bis heute in Israel keine Ansprechperson. Das erstaunt, denn zum Beispiel in London gibt es die  «Swiss Church in London» oder in Mailand die «Chiesa Cristiana Protestante in Milano».

Wie steht es heute um den christlich-jüdischen Dialog?

Die Pionierinnen und Pioniere, die nach dem Zweiten Weltkrieg den christlich-jüdischen Dialog initiierten, haben viel erreicht. Heute erschrickt niemand mehr, wenn er hört, dass Jesus Jude war. Auch ist weitgehend bekannt, dass die Römer Jesus kreuzigten und nicht die Juden. Aber dieser Austausch scheint wieder in Vergessenheit zu geraten. Das zeigt sich darin, dass überwunden geglaubte Modelle wie etwa die Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Judentum wieder auftauchen. Dazu gehört etwa die Idee, dass das Judentum nur am Buch­­sta­ben klebe, während das Christentum vom Geist beseelt sei.

Welche Kriterien muss die Pfarrperson für das Jerusalemer Pfarramt erfüllen?

Voraussetzung ist die Wahlfähigkeit in einer evangelischen Schweizer Kantonalkirche. Zudem sollte sie im Land gut vernetzt sein und die politische Situation gut kennen. Sie soll dort nicht Politik machen, sondern sich des Auftrags einer Pfarrperson, nämlich der Evangeliumsverkündigung, bewusst sein.

Können Sie das näher erläutern?

Evangelium heisst übersetzt die frohe Nachricht. Vereinfacht gesagt, geht es um die frohe Nachricht, dass Gottes Wirken für uns Menschen real und auf eine geheimnisvolle Weise in der Gegenwart Jesu wirksam ist. Dies zu thematisieren, ist unsere Aufgabe. Das Wirken Gottes ist für uns Menschen zentral. Es befreit von der Sorge um uns selbst und öffnet den Blick für die Not des Gegenübers.

Ivana Bendik, 59

Die gebürtige Slowakin wuchs in Baselland auf. Ihre Doktorarbeit zum Thema «Neue Paulusperspektive» wur­de mit dem Amerbach-Preis der Uni Basel ausgezeichnet. Sie ist Vizepräsidentin des Vereins «Evangelische Schweizer Kirche in Israel». Informationen zur Mitgliedschaft: ivana.bendik@chur-reformiert.ch