Acht Uhr abends in Hüntwangen im Zürcher Unterland. Regen prasselt auf das riesige Zelt in Form eines Münsters, in dem 650 Kinder und Jugendliche in Regenkleidern sitzen. Sie schauen konzentriert zur Bühne, auf der sich «Henri» Bullinger und Huldrych Zwingli streiten: Zwingli will in den Krieg, um die Reformation voranzutreiben, Henri nicht.
Rollenspiele zur Reformation. Der historische Stoff des Rollenspiels ist anspruchsvoll, aber die Kinder und Jugendlichen zwischen sieben und zwanzig Jahren sind ganz bei der Sache. Nur die Mitglieder des Lager-OKs, die an gelben Armbinden erkennbar sind, blicken prüfend zu undichten Stellen im Zelt. Das Oberlandlager steht im Zeichen des 500-Jahr-Jubiläums der Reformation. Unter dem Motto «Mächtiger als Waffen» zeigen Rollenspiele während der ganzen Lagerwoche das Leben des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger.
Das christliche Lagerthema ist nicht selbstverständlich. Denn der Cevi ist zwar ein christlicher Verband, doch die achtzehn Ortsgruppen, die am Lager teilnehmen, interpretieren das Christliche ganz unterschiedlich.
Nach dem Rollenspiel tönts auch beim Singen religiös. Eine Band mit Sängerinnen, Sängern, Gitarre und Schlagzeug sorgt für guten Sound. «Mächtiger als Waffe, wänd di nöd vor Gott verstecksch, sondern uf em Wäg mit Jesus sis Rezäpt entdecksch», lesen die Jungen und Mädchen aus dem Lager-Liederheft ab.
Christliche Lieder. Auffällig ist: Alle sechzehn Lieder des Hefts haben christliche Texte. Sie handeln von Gott, Jesus und dem Glauben. Das sei Absicht, sagt Matthias Kunz vom OK. Mit dem Lager solle das Christliche in der Region Oberland gestärkt werden. Der 34-jährige Elektroingenieur war früher Abteilungsleiter des Cevi Uster. Wie die meisten vom OK investiert er drei von fünf Ferienwochen in das einwöchige Aufbaulager, die Lagerwoche und den Lagerabbau; seine Frau und die zweijährige Tochter sind auch hier. Kunz ist als Infrastruktur-Chef der Baumeister des Blachen-Münsters. Es ist ihm ein Anliegen, dass die christlichen Werte in Jungschar-Nachmittagen und in Lagern präsent sein sollten.
«In Uster war das manchmal ein Kampf, manche junge Leitende haben keinen Bezug zum Glauben», sagt er. Kunz selbst, der die Freikirche Freie Kirche in Uster besucht, möchte «Kinder und Jugendliche zum Glauben ermutigen». Dazu seien Rollenspiele geeignet, in denen Kinder biblische Geschichten erleben. Für die Jugendlichen ab dreizehn Jahren, die Stufenleiter werden können, seien vertiefende Gespräche wichtig.
Gläubig und suchend. Der freikirchlich Orientierte sagt offen, dass er im zwölfköpfigen Lager-OK einer der Gläubigeren sei. Anders tickt Melanie Keller, im OK zuständig für die Sicherheit: «Ich bin gegenüber allen Kulturen und Religionen offen.» Keller war Abteilungsleiterin des Cevi Dürnten, bevor sie ins OK kam.
Die Architektin aus Rüti ist katholisch getauft, seit Kindertagen im Cevi und Expertin für das Sportförderungsprogramm des Bundes «Jugend und Sport». Sie sei religiös noch auf der Suche, doch hinter der christlichen Ausrichtung des Lagers könne sie stehen, sagt sie. «Die christliche Basis des Cevi ist wichtig.»
Keller weiss, dass sie zwei Hüte trägt. Als OK-Mitglied vertritt sie das «C» im Verband. Selbst möchte sie aber nicht aus der Bibel erzählen, sondern überlässt dies anderen im Cevi. Halte sie für Leiter einen Input, mache sie «etwas zum Ruhigwerden». Oder zu den Werten des Cevi, die sie wichtig findet: «Anstand, kein Mobbing, Wertschätzung unabhängig von Leistungen.»
Weben und Speed-Dating. Im Oberlandlager haben die Cevianerinnen und Cevianer ohnehin nicht viel Zeit für Glaubensdiskussionen. Auf dem Programm stehen täglich je zwei Stunden Sport und Ausbildung, etwa im Kompasslesen. Und ständig muss irgendwo angepackt und für die Kinder geschaut werden. Nach dem Singen wird sofort kontrolliert: Halten die Lagerbauten dem Regen stand? Läuft nirgends Wasser in die Zelte? Die Leitenden begleiten ihre Gruppen mit Regenschutz und Stirnlampe im Dunklen und strömendem Regen zum Zähneputzen und zu den Zelten.
Das Lager ist wie eine mittelalterliche Stadt aufgebaut. Jede Ortsgruppe hat ein Camp zum Schlafen und Essen. Das Lagerzentrum bildet die Marktgasse, an der die Jungscharen tagsüber mittelalterliche Handwerkskünste wie Zinngiessen, Bogenschiessen, Lanzenstechen und Weben zeigen. Die Kinder können alles ausprobieren. Da das Büchsenschiessen nicht lief, wurde es durch Speed-Dating ersetzt. Der Single des Tages wird jeweils in der Lagerzeitung vorgestellt.
Am nächsten Morgen sind junge Männer und Frauen bereits vor dem Zmorge am «Gräbele», um die Zelte vor Überschwemmung zu bewahren.
Starke Motivation. «Die Ortsgruppenarbeiten toll zusammen», erzählt SonjaHüppi. Die 19-jährige Studentin an der Zürcher Hochschule der Künste betreut künftige Leitende ab 13 Jahren im Cevi Bäretswil, einer betont christlichen Abteilung. Vor einem Jungschi-Nachmittag beten die Leitenden etwa zusammen.
Das wäre für den Pflegefachmann Dominik Pohl nicht denkbar. Der 22-JährigeAbteilungsleiter der Cevi Rüti sagt: «Wir leben das Christliche nicht aus, das wissen die Eltern.» Ihn stören die ausschliesslich christlichen Lieder hier im Oberlandlager. «Teils sind sie konservativ, ich glaube zum Beispiel nicht, dass ich mich Gott unterwerfen muss.» Trotzdem war für ihn klar, dass der Cevi Rüti teilnimmt. Der Cevi sei in der Leistungsgesellschaft wichtig. «Jeder kann kommen, man muss in nichts gut sein.»
Das zeigt: Ob liberaler oder frömmer, Cevis sind in erster Linie Cevis. Und sie halten zusammen, egal, ob die Sonne aufs Zelt scheint oder der Regen daraufprasselt.