Schwerpunkt 23. November 2022, von Cornelia Krause

Der weltweite Goldrausch bedroht den Amazonas

Gold

Illegale Goldschürfer dringen vermehrt in geschützte Gebiete ein und gefährden den Lebensraum indigener Gemein­schaften. Und die Schweiz ist eine der grössten Drehscheiben.

Auf Drohungen folgten Taten: Im Mai vergangenen Jahres drangen Goldschürfer in das Dorf von Maria Leusa Munduruku ein. «Sie brannten unsere Häuser ab, schossen um sich», erinnert sich die 35-Jährige. Mit ihren Kindern gelang es ihr, das Dorf unversehrt zu verlassen.

Munduruku ist Angehörige des gleichnamigen Volkes. Sie lebt im brasilianischen Amazonas im Bundesstaat Pará. Die Aktivistin kämpft gegen den illegalen Abbau von Gold in Regenwaldgebieten. So geriet sie ins Visier krimineller Goldsucher.

Behörden konnten Sicherheit nicht gewährleisten

Mehrfach habe sie Behörden über Drohungen informiert, sagt sie im Videogespräch mit «reformiert.». Doch selbst nach dem Angriff konnten die Sicherheitskräfte den Schutz der Munduruku-Familien im eigenen Dorf nicht gewährleisten. Also mussten sie für mehrere Monate ausgerechnet in jene nahe gelegene Stadt ziehen, die zahlreichen illegalen Goldschürfern als Basis diente.

Munduruku hat ihre Geschichte häufig erzählt, sogar vor Schweizer Wirt­schaftsprominenz. Im Frühjahr dieses Jahres war sie Teil einer Delegation, die sich in Bern mit Vertretern von Edelmetallraffinerien und Branchenvertretern traf.

Sie erzählte vom Angriff auf Leib und Leben, aber auch von den verheerenden Auswirkungen des Goldabbaus im Regenwald. Von mit Quecksilber verseuchten Flüssen, die krank machen. Von Kindern, die mit Missbildungen auf die Welt kommen. «Das ist der Grund, warum wir Frauen uns so stark engagieren», sagt Mun­d­­uruku. «Es trifft unsere Kinder.»

Gegen 70 Prozent des Weltgoldes in der Schweiz

Dass die Aktivistin auf Einladung der Organsisation Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hierzulande vorsprach, liegt an der grossen Bedeutung der Schweiz im globalen Goldgeschäft. Vier der weltgrössten Raffinerien ha­ben hier ihren Sitz. Bis zu 70 Prozent des Goldes werden laut aktuellen Schätzungen in der Schweiz verarbeitet. Altgold sowie Roh­gold werden zu Barren, Mün­zen oder Vorprodukten der Schmuck­industrie gegossen.

2021 importierte die Schweiz laut Zollstatistik gut 2200 Tonnen Rohgold im Wert von 84 Milliarden Fran­ken aus aller Welt. Aus Brasilien waren es 20 Tonnen – wenig im Vergleich zu Ländern wie Peru oder Chile. Beim Rohgold ist es vor allem Gold aus industriellen Minen, das im Auftrag von Kunden raffiniert wird, aber auch Gold aus kleinen Minen, sogenanntes ASM-Gold.

Es steht viel auf dem Spiel

Wiederholt standen einzelne Raffinerien aus der Schweiz in den letzten Jahren am Pranger: dafür, dass sie Gold aus Konfliktregionen wie dem Kongo verarbeitet haben sollen. Oder Gold aus der Mine La Rinconada in Peru, in der unzumutbare Bedingungen herrschen.

​Begehrter Rohstoff, der viele beschäftigt

Das weltweit gewonnene Gold wird auf rund 200'000 Tonnen geschätzt. Rund die Hälfte davon ist zu Schmuck verarbeitet, etwa 20 Prozent werden als Anlage gehalten. Die Reserven von Nationalbanken sollen für weitere 17 Prozent aufkommen. Der Rest wurde industriell verarbeitet.

Im Jahr 2021 wurden dem World Gold Council zufolge 3570 Tonnen Gold neu gefördert. Das Edelmetall wird sowohl industriell als auch im soge­nannten ASM-Kleinbergbau (artisanal and small-scale mining) abgebaut. Rund 80 Prozent der Mineure sind im ASM-Bereich tätig und produzieren etwa 20 Prozent des Goldes weltweit.

Über 100 Millionen Menschen sind direkt oder indirekt vom kleingewerblichen Bergbau abhängig. Der indus­trielle Abbau kommt für 80 Prozent des Goldes auf und beschäftigt etwa 20 Prozent der Mineure. Grösster Produzent war 2021 China (332 Tonnen) vor Russland, Australien und Kanada. Brasilien, ein mittelgrosser Player, förderte rund 90 Tonnen.

Im Goldgeschäft steht viel auf dem Spiel: Für die Menschen vor Ort geht es um Rechte, Arbeitsbedingun­gen, Auswirkungen auf die Natur. Für Raffinerien um die Reputation und die Frage, wie sich mit dem Roh­stoff möglichst verantwortungsvoll geschäften lässt.

Der während der Pandemie stark gestiegene Goldpreis habe die Lage vielfach noch verschlechtert, sagt der Basler Juraprofessor und Korruptionsexperte Mark Pieth. Er hat ein Buch über die Lieferketten des wertvollen Rohstoffs geschrieben. Der Titel lautet: «Goldwäsche».

Düsteres Bild am «Gold-Day»

Am «Gold-Day», der von Pieth jüngst organisierten Konferenz, an der neben Branchenver­tretern auch Nichtregierungsorganisationen teilnahmen, zeichnete Louis Maréchal, ein Experte der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), ein düsteres Bild. Wegen des hohen Goldpreises werde nun auch Gold abgebaut, wo das bislang nicht der Fall gewesen sei. «Die dunkle Seite der Nachfrage floriert, kriminelle Organisationen steigen vermehrt ins Geschäft ein.»

Brasilien ist ein Paradebeispiel. Der Abbau in der Amazonas-Region nahm zu. «Dazu trug auch die Regierung von Jair Bolsonaro bei, die illegalen Abbau kaum bestrafte und Umweltbehörden gezielt entmachtete», sagt Julia Büsser von der GfbV. Ein von Präsident Bolsonaro gefördertes Gesetz, das den Abbau von Roh­stoffen in bislang geschützten in­digenen Gebieten legalisieren soll, ist im Parlament hängig.

Auch die Pandemie forderte ihren Tribut. Die Behörden kontrollierten das Treiben der Goldschürfer weniger als ohnehin. Berichte von Journalisten vor Ort bezeugen das Resultat: Im Regenwald klaffen riesige Löcher. Der Boden sieht aus wie eine Mond­landschaft, vergiftet vom Queck­silber, mit dem illegale Mineure das Gold gewinnen.

Die Lage in Brasilien und der Bericht von Munduruku veranlasste die sonst sehr verschwiegene Schwei­zer Branche zu einem quasi historischen Schritt. Schriftlich erklärten die Raffinerien Me­talor, Argor-He­raeus, Valcambi, MKS Pamp und PX Précinox sowie die Schweizerische Vereinigung Edelmetallfabrikanten und -händler (ASFCMP), dass sie kein Gold aus indigenen Gebieten verarbeiten würden. Auch das von Bolsonaros Regierung geplante Gesetz müsse kritisch gesehen werden, heisst es in dem Text.

Heikler Fund am Flughafen

Für die GfbV, die sich für die Mun­duruku starkmacht, ist das Statement der Branche wichtig. Auch weil Amazonas-Gold längst in der Schweiz angekommen ist. Fünf Ton­nen wurden 2020 und 2021 aus den Amazonas-Städten Itaituba und Ped­ra Branca do Amapari in die Schweiz exportiert, wie aus Brasiliens Ex­port­statistik hervorgeht.

Beides sind Orte, an denen die Grenze zwischen illegalem und legalem Goldabbau kaum nach­voll­zieh­bar ist, wie die GfbV in einem Bericht schreibt. Im Oktober 2021 stoppten die Exporte abrupt. Die NGO hat alle Schweizer Raffinerien wegen der fünf Tonnen kontaktiert. «Aber jede beteuerte, das Gold sei nicht für sie bestimmt gewesen», sagt Julia Büsser.

Ein weiterer brisanter Fall beschäftigt die Schweizer Justiz. Im Sommer 2021 entdeck­te der Zoll im Transitbereich des Zür­cher Flughafens 20 Kilo ungestempeltes Gold in der Tasche eines Passagiers aus Brasilien. Über den Fund berichtete die spanische Zeitung «La Vanguardia».

Erst kleine Mengen fairmined und fairtrade

Nachhaltiges Gold ist zunehmend gefragt: bei Banken, die grüne Anlageprodukte anbieten wollen, oder in der Schmuck- und Uhrenindustrie. Als Label mit höchsten Standards gelten «fairmined» und «fairtrade».

In den zertifizierten Minen wird etwa auf Arbeitsbedingungen und umwelt­freundlicheren Abbau geachtet. Ein Zuschlag auf den Preis kommt den Gemeinschaften vor Ort zugute. Die Schweiz engagiert sich zudem mit der Swiss Better Gold Initiative (SBGI), einer Zusammenarbeit zwischen der Branche und dem Wirtschaftsstaat­s­sek­retariat Seco für nachhaltig produziertes Gold.

Ziel ist es, die Situation in ASM-Minen zu verbessern und Zwi­schen­händler auszuschalten. Die Volu­men all dieser Initiativen sind jedoch auf dem Weltmarkt gering und nahmen während der Pandemie oft noch ab.

So wurden 2021 104 Kilogramm «fairmined»-zertifiziertes Gold verkauft, bei «fairtrade» belief sich die Men­ge auf rund eine Tonne. Die SBGI hat seit 2013 rund 3 Tonnen Gold exportiert.

Die für den Flughafen zuständige Staatsanwaltschaft reichte den Fall jüngst an eine auf Geldwäschereiverfahren spezialisierte Einheit weiter. Die Behörde will sich nicht äussern, verweist auf das laufende Verfahren. Branchenkenner vermu­ten, dass das Gold über die Schweiz nach Dubai gebracht werden sollte. «Auch dort gibt es Raffinerien», sagt der Anti-Korruptions-Experte Mark Pieth. «Einmal eingeschmolzen und mit einem offiziellen Stempel versehen, kann das Gold auf dem Weltmarkt gehandelt werden.»

Denn den Raffinerien kommt eine besondere Bedeutung zu: Sie sitzen in der Mitte der Lieferkette zwischen Produzenten und Endkunden. Zusammengeschmolzen und raffiniert, lässt sich bei Gold keine Aussage mehr über die Herkunft treffen. Daher sehen NGOs und Jurist Pieth diese Firmen in einer besonderen Verantwortung, die Herkunft abzuklären.

Umfangreiche Regulierungen und Kontrollen

In der Branche gilt das mittlerweile als unbestritten. ASFCMP-Präsident Christoph Wild verweist auf umfangreiche Regulierungen und Kontrollen, denen Raffinerien unterliegen. Überwiegend sind es internationale Regelungen. Es gibt OECD-Richtlinien für den Umgang mit Gold aus Konfliktgebieten und Sorgfaltspflichten in den Lieferketten, EU-Regeln für den Umgang mit Konfliktmineralien.

Hinzu kommen Initiativen der Industrie, etwa der London Bullion Market Association – des wichtigsten ausserbörslichen Handelsplatzes – oder jene der Bran­chenorganisation Responsible Je­wel­lery Council. Ein Grossteil der Regeln ist jedoch freiwillig oder beruht auf Selbstregulierung.

Wild hält das für richtig. Es brauche «einen smarten Mix aus gesetzlichen Rahmenbedingungen und Ei­genverantwortung, mit dem sich die Industrie entwickeln kann».

Wild verweist auch auf neue Ver­fahren, die Raffinerien entwickelt haben, um die Herkunft von Gold zu überprüfen, etwa durch genaue Untersuchung der Zusammensetzung des angelieferten Materials. Zudem können Goldbarren mittels neuer Technologie gekennzeichnet werden, sodass sich ihr Weg auf dem Weltmarkt verfolgen lässt. Ver­fahren mit Potenzial, findet Mark Pieth.

Er sagt aber: «Allein die Herkunft des Goldes zu wissen, reicht nicht.» Entscheidend seien Kontrollen vor Ort. «Wie leben die Menschen dort, gibt es Kinderarbeit, wird mit Quecksilber oder umweltverträglich abgebaut?»

Die Risiken minimieren

Der Chef der Raffinerie Argor-He­raeus, Robin Kolvenbach, beteuert, Kontrollen in den Minen fänden regelmässig statt. Der 37-Jährige ist seit dem Frühjahr am Ruder und gilt als Vertreter einer neuen Gene­ration in der Branche, welche die Nachhaltigkeit vermehrt in den Fokus nehmen will. «Die internationalen Regulierungen sind nur die Basis für eine verantwortungsvolle Verarbeitung von Gold, bei Argor-Heraeus gehen die internen Richtlinien weit darüber hinaus», sagt er.

Die Raffinerie in Mendrisio bemüht sich stark, die Risiken zu begrenzen: Sie verarbeitet vor allem Gold aus industriellen Minen oder setzt im Kleinbergbau auf Minen, welche die Label «fairtrade» oder «fairmined» tragen. Die Firma legt Vorsicht an den Tag, doch Kolvenbach weiss: «Ein Restrisiko bleibt.»

«Fehler können passieren, wir müssen aus ihnen lernen»

Auch Wild, langjähriger Argor-Heraeus-Chef, räumt ein: «Fehler können passieren, wir müssen aus ihnen lernen.» Mit Blick auf das Ama­zonasgold sehen Experten etwa folgende Probleme: Was, wenn eine industrielle Mine Gold frag­wür­diger Herkunft beimischt? Oder die Zwischenhändler die Herkunft falsch deklarieren, etwa längst inaktive Minen angeben? Derartige Fälle beschäftigen bereits die brasilianische Justiz.

Die Raffinerien lehnten immer wieder Geschäfte ab, die bei Due-Diligence-Prüfungen auffallen, sagen Wild und Kolvenbach. Für dubioses Gold habe es in der Schweiz keinen Platz, betont Wild. Der komplette Abbruch von Geschäftsbeziehungen aus ganzen Regionen gilt dennoch nur als Notlösung. Schliesslich sind die Menschen vor Ort auf ihre Arbeit angewiesen. Ausserdem dürfte das Gold auf anderen Wegen in den Welt­markt gelangen, da man sich etwa in China, Indien oder den Golfstaaten weniger um Nachhaltigkeit oder Herkunft sorgt.

Für eine Verbesserung vor Ort müssten primär Regierungen und lokale Behörden der produzierenden Länder sorgen, sagt Wild. In der Schweiz setzt sich die GfbV unterdessen für mehr Regulierung ein: Der Bund nehme die Branche zu wenig in die Pflicht, sagt Julia Büsser.

«Er setzt auf Freiwilligkeit, wir setzen uns für Gesetze ein.»Hoffnungen setzt Büsser etwa in das neue Lieferkettengesetz der Europäischen Union, dem sich die Schweiz anschliessen könnte. Es verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten entlang der Wertschöpfungsketten.

Zudem will die NGO erreichen, dass Raffinerien die Herkunft des von ihnen verarbeiteten Goldes offenlegen müssen. Obwohl sich die Zusammenarbeit der Branchenver­treter verbessert hat, bleiben in dieser Frage die Fronten verhärtet: Die Raffinerien verweisen auf das Geschäftsgeheimnis und Geheimhaltungsvereinbarungen mit den Kunden. 2023 dürfte das Bundesgericht, wo der Fall zurzeit hängig ist, die Transparenzfrage entscheiden.

Lula weckt Hoffnungen

Maria Leusa Mundurukus Familie ist wieder in ihr Dorf zurückgezogen. Die Aktivistin hat ein Jurastu­dium begonnen und verbringt viel Zeit in der nächstgelegenen Univer­sitätsstadt. Bei den Präsidentschafts­wahlen im Oktober unterstützte sie wie viele Indigene den Sozialisten Lula da Silva.

Sein Sieg ist eine gute Nachricht. Der gemässigte Linke hat den Indigenen im Wahlkampf mehr Schutz zugesagt. Dennoch ist Munduruku nur verhalten positiv. Während der letzten Amtszeiten Lulas trieb dieser riesige Staudammprojekte im Amazonas voran. Allerdings seien die Indigenen damals noch nicht so gut politisch organisiert gewesen wie heute, sagt sie. «Wir werden weiterkämpfen, bis die Goldschürfer nicht mehr in unsere Gebiete eindringen.»