«Als ich meine Doktorarbeit in Meeresbiologie schrieb, tauchte ich erstmals in einem Forschungs-U-Boot 3,5 Kilometer in die Tiefsee hinab. Das war absolut magisch. Man gleitet stundenlang hinunter, sitzt in der Kugel wie in einem Aquarium, die Lebewesen der Tiefsee schauen hinein – dieses Gefühl hatte ich mir als Kind erträumt.
Für die beiden Tauchpiloten war es Routine. Sie packten ihr Knoblauchhühnchen aus, hörten Abba. Erst dachte ich herrje, mein grösster Traum erfüllt sich so?! Doch es wurde zu einer grundlegenden Erfahrung: Tatsächlich sollte es normal sein, in die Tiefsee zu tauchen. Wir nutzen den Ozean, verändern ihn, werfen Müll hinein, aber wir schauen nicht, was unten passiert. Anders gesagt: Der grösste Anteil der Schöpfung findet sich im Meer, und wir wissen fast nichts darüber.
Mit Glück ein paar Mal 1000 Meter tief
Ich bin 1967 geboren, in einer Zeit, als viel über das Weltall zu lesen und sehen war. Es herrschte eine weit verbreitete Faszination für die Erde und ihre Geheimnisse. Ich nahm mir vor, einige zu lüften. So wurde ich Meeresbiologin. Nun forsche ich seit über 30 Jahren. Auf Expeditionen arbeiten wir meistens mit der Hilfe von Robotern und Kamerasystemen. Für die Forschung ist es unverzichtbar, eine Umgebung mit eigenen Augen zu sehen, doch das bemannte Tauchen wird seltener. In den letzten Jahren hatte ich Glück und machte ein paar Tauchgänge in 1000 Meter Tiefe.
Bei den Tauchgängen gleite ich in den Bauch der Erde. Erst ist das Meer blau, dann wird es dunkler, ab rund 500 Metern Tiefe ist es vollständig schwarz. In dieser Schicht erlebe ich einen heiligen Moment. Dort kommunizieren die Tiere über Licht. Ich habe das Gefühl, mitten in der Erde zu sein. An jenem Ort, wo die grösste Vielfalt an Lebewesen ist und von dem wir Menschen an sich ausgeschlossen sind, wir können da nicht leben.
In der Tiefsee wird mir bewusst, dass die Erde viel, viel mehr ist als die von Menschen bebaute Umwelt. Wir müssen den Blick weiten. In der Forschung beschäftigen wir uns zu wenig mit der Vielfalt des Lebens. Unser Wissen kommt von wenigen Modellorganismen: Fruchtfliege, Maus und Fadenwurm. Um Leben zu verstehen, sollten wir auch andere Organismen untersuchen, auch solche aus dem Meer, die wir gar nicht kennen. Die Erforschung der Erde ist erst am Anfang.
Die Zeichen der Zeit erkannt
Die Meeresbiologie hat meine Perspektive verändert. Die Menschheit ist nicht das Zentrum der Erde, sie steht am Rande, beschränkt auf die dünne Haut der Erde. Ich möchte dazu beitragen, dass die Menschen eine dem Planeten und der Vielfalt des Lebens angemessenere Perspektive entwickeln. In unserer letzten grossen Wildnis sehe ich, welche Schäden der Mensch anrichtet.
Als Studentin machte ich in den Neunzigerjahren einen Tiefseefang mit einem Netz. Ich zog lauter Plastikmüll beraus und dachte, ich hätte etwas falsch gemacht. Erst viel später realisierten wir, dass wir Menschen den Planeten mit unzersetzbaren Stoffen vermüllt haben. Die finden wir sogar in den eisbedeckten Regionen des Meeres.
Wärme an der Oberfläche wirkt weit
Auch der Klimawandel verändert dort das Leben. Warm wird das Meer zwar vor allem an der Oberfläche, doch das bewirkt eine Veränderung der Nahrungskette. In unserem Tiefseeobservatorium in der Arktis sehen wir schon jetzt die Folgen des Klimawandels.
Wir müssen uns verdammt anstrengen, um die Schöpfung zu bewahren. Das geht zwar nur langsam voran, aber ich meine, dass die Mehrheit die Zeichen der Zeit erkannt hat. Ich bin froh, dazu beizutragen, unsere Augen für die Schönheit, aber auch die Verwundbarkeit der Natur zu öffnen.»