Schwerpunkt 26. Januar 2021, von Christa Amstutz Gafner

Faszinierende Welt voller Muster und Formeln

Der andere Blick

Yannik Gleichmann sagt, weshalb es Mathematik braucht, um ein Pizzastück richtig zu halten.

«Wenn ich mit der Wissensbox in die Primarschulen gehe, versuche ich, den Kindern die Welt der Mathematik näherzubringen. Jedoch nicht mit Zahlen und Rechnungen, sondern mit faszinierenden Figuren, Mustern und Fraktalen. Die Wis­sensbox ist ein kostenloses Angebot der Universität Basel, bei dem Doktorierende mit den Schülerinnen und Schülern in die Welt der Wissenschaft eintauchen.

Unendlich viele Kopien

Fraktale sind selbstähnliche Strukturen. Dabei ist das grosse Ganze im Miniaturformat nochmal in sich ent­halten. Ein gutes Beispiel ist der Romanesco, der sich aus vielen Kopien seiner selbst zusammensetzt. Auch das Phänomen, dass sich in den Wol­ken am Himmel immer weitere klei­ne Wolken finden, wird spätestens offensichtlich, wenn man durch sie hindurchfliegt. 

Das bekannteste, rein mathematische Fraktal ist das Apfelmännchen, mit dem Benoît Mandelbrot die Entdeckung der fraktalen Geometrie illustrierte. Hier kann man tiefer und tiefer in das geometrische Objekt eintauchen und findet immer wieder dasselbe Muster vor.

Viele Leute mögen Mathematik nicht oder können wenig damit anfangen. Das liegt sicher an unterschiedlichen Veranlagungen, aber auch an Vorurteilen – sogar von Eltern. Wenn sie sagen: ‹Ich hatte stets Probleme mit Mathe, es ist nicht so schlimm, wenn du es auch nicht gut kannst.› Dann kann das sehr demotivierend sein für die Kinder.

Mathematik mit Schokolade

Eine meiner ersten Kindheitser­innerungen mit Mathematik handelt von einer Tafel Schokolade. Da wir ein Dreipersonenhaushalt waren, stand mir ein Drittel zu. Ich hätte gerne die komplette Tafel gegessen, aber meine Mutter mahnte: ‹Wenn du die ganze Tafel isst, bekommst du von der nächsten nichts mehr.› Zu ihrer Verwunderung ass ich dennoch alles auf, weil ich für mich ausgerechnet hatte, dass zwei Drittel von zwei Tafeln Schokolade weniger sind als eine ganze.

Die Alltagslogik und mathematische Logik stimmen häufig nicht überein. Steht auf einem Schild ‹Bei Schnee und Eis ist das Betreten verboten›, gilt nach mathematischer Logik, dass das Betreten erlaubt wäre, wenn es vereist, nicht aber verschneit ist. Korrekt wäre ein ‹oder› anstelle von ‹und›.

Nur richtig oder falsch

Mein mathematischer Blick auf die Welt bewirkt auch, dass ich Entschei­dungen und Fragen oft schwarz-weiss sehe, in richtig und falsch einteile. Ich bin immer auf der Suche nach Antworten zu ­einer Annahme, von der ich herausfinden will, ob sie korrekt ist.

Mathematik wird zwar seit jeher betrieben, der mathematisch-natur­wissenschaftliche Blick, der unser heutiges Weltbild prägt, gründet aber im 17. Jahrhundert. Galileo Galilei und Isaac Newton brachten Physik und Mathematik zusammen und versuchten, die Welt mit der ma­thematischen Sprache zu beschrei­ben, erklären und berechnen.

Fahrplan und Prämien

Aus vielen Bereichen ist die Mathematik nicht wegzudenken. Versicherungen berechnen mit mathematischen Modellen, wie hoch die Prä­mie ausfallen muss, um für sie lukrativ zu sein. Auch der Taktfahrplan der SBB oder die präzise Routensuche wären ohne Mathematik nicht denkbar. Natürlich ist meine Sicht nur eine unter vielen, doch es macht mir Spass zu sehen, dass auch Alltagserfahrungen mathematisch belegt werden können.

Versucht man zum Beispiel, ein Pizzastück am Rand zu halten, wird es immer herunterknicken. Greift man den Rand in einer U-Form, bleibt das Stück stabil und waagrecht. Das hätte schon Carl Friedrich Gauss voraussagen können, als er Anfang des 19. Jahrhunderts sein ‹Theorema Egregium› aufstellte.»

Yannik Gleichmann, 28

Yannik Gleichmann, 28

Der Mathematiker ist Doktorand an der Universität Basel. Er forscht im Bereich der numerischen Analysis und be­schäftigt sich mit inversen Prob­lemen. Erkenntnisse daraus können unter anderem in der Magnetresonanztomographie (MRI) oder in der Geophysik eingesetzt werden.