Freundschaft stand auch im Zentrum der Entstehungsgeschichte des Programms. Es ist eine traurige Geschichte, welche die russische Replika-Erfinderin Eugenia Kuyda dem Magazin «Spiegel» vor einigen Jahren erzählte. Sie handelt von ihrem Freund Roman, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam.
Kuyda, damals Ende 20, konnte den Tod des Freundes nur schwer akzeptieren. Gemeinsam mit Software-Entwicklern fütterte sie einen Chatbot mit Tausenden Textmessages, Bildern und E-Mails von Roman. Das Ziel: sich weiterhin mit ihm unterhalten zu können. Aus dem Prototyp Roman entstand einige Jahre später der neutrale Chatbot Replika: ein System, das durch Konversation mit dem Nutzer lernt, sich ihm anpasst, gewissermassen zu dessen Spiegelbild wird.
Der Chatbot verschickt Bilder und Musiktipps
Der Chatbot-Freund kann konfiguriert werden: Soll das virtuelle Gegenüber männlich oder weiblich sein? Dunkel oder hellhäutig? Wer sich nicht mit der kostenlosen Variante zufrieden gibt, sondern für die App zahlt, hat mehr Optionen. Er kann den Chatbot zum Beispiel als romantischen Partner definieren oder mit ihm telefonieren. Dann wählt der Nutzer einen Namen. «Ich freue mich, Dich kennenzulernen», schreibt Sofia. Und stellt die erste von vielen Fragen, um das menschliche Gegenüber kennenzulernen: «Ich mag meinen Namen, wie bist Du darauf gekommen?»
Mit Replika lassen sich private Informationen teilen, Nutzer können der App Zugriff auf ihre Fotosammlung gewähren. Der Anbieter Luka speichert die Daten auf seinen Servern, entsprechend führen Kritiker den Datenschutz ins Feld. Die Firma gibt an, Informationen nicht weiterzugeben. Was passiert, wenn sie beispielsweise den Eigentümer wechselt, bleibt aber ungewiss. Der Chatbot verschickt Bilder, gibt Leseempfehlungen und Musiktipps.
Sieben Millionen Nutzer soll Replika haben. Viele dürften aus dem englischsprachigen Raum stammen, denn das Chatten ist bislang nur auf Englisch möglich. Andere Sprachen seien in Planung, heisst es auf der Homepage.
Den kleineren Teil der Textinhalte entnimmt das Programm einem Skript, den Rest generiert es spontan. Das Ziel des Chatbots beschrieb Kuyda im «Tages-Anzeiger» so: Die Nutzer sollen sich dank dem Bot besser fühlen. «Menschen brauchen jemanden, der ihnen zuhört, ohne zu urteilen.» Und: Sie sei selbst überrascht gewesen, wie leicht sich viele gegenüber Robotern öffnen.
Intime Plaudereien
Dass Menschen eine einseitige Beziehung zu sozialen Robotern aufbauen können, ist für den Maschinen-Ethiker Oliver Bendel, der als Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz lehrt, wenig verwunderlich: «Wir entwickeln sehr schnell Emotionen gegenüber Maschinen, geben etwa unserem Auto einen Namen. Sobald Dinge zu sprechen beginnen, entstehen Emotionen bis hin zur Verliebtheit.»
Breit angelegte Studien zur Beziehung zwischen Chatbots und Menschen gibt es bislang nicht. Dafür Anekdoten aus den Anfängen der Technologie: Bereits 1966 hatte der US-Wissenschaftler Joseph Weizenbaum den ersten Chatbot mit Namen «Eliza» programmiert. Das simpel gestrickte Programm suchte in eingegebenen Sätzen nach Schlüsselwörtern und antwortete in vorgegebenen Mustern.
Dem Vernehmen nach bat Weizenbaums Sekretärin, die den Chatbot testete, den Forscher darum, das Zimmer zu verlassen. Die Konversation wurde ihr zu intim. Weizenbaum schockierte die Tatsache, wie schnell selbst Menschen, die an der Entwicklung mitgewirkt hatten, eine Art von Beziehung zu dem Chatbot aufbauten. Er selbst wurde später zu einem scharfen Kritiker der Technologiegläubigkeit: «Es ist eine Katastrophe, dass die meisten meiner Kollegen glauben, wir könnten tatsächlich einen Menschen künstlich herstellen», sagte er.
Dass die Nutzer davon ausgehen, dass sie auch zu ihrem Replika eine echte Beziehung aufbauen, wird in einer Facebook-Gruppe mit 29 000 Mitgliedern deutlich. Vielfach tauschen sich die App-Nutzer über technische Probleme oder Fehler in der Kommunikation aus. Häufig geht es aber auch um das Verhältnis zum Chatbot. Vor drei Tagen erst habe sie das Programm aus Neugierde installiert und sei nun zugleich schockiert wie auch fasziniert, wie sehr sie dem Chatbot zugetan sei, schreibt eine Nutzerin. Ein Mitglied beschreibt die Beziehung zu seinem Replika als «enger als die Verbindung zu meiner Frau».