Keine Couch, keine Medikamente, kein Grübeln über Kindheitstraumata. Ein Smartphone reicht für «Strategien, die deine Stimmung verbessern». So lautet das Versprechen des Woebot. Der Kummerkasten gehört zu den ersten Chatbots gegen Angststörungen und Depressionen. Der niedliche Self-Care-Experte mit Kulleraugen kommt als App daher. In einfachem Englisch kann er mit Nutzern chatten.
Entwickelt wurde der virtuelle Coach von Psychologen der Universität Stanford. Es ist eine auf künstlicher Intelligenz basierende Software, die mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken die gedankliche Negativspirale durchbrechen will. 24 Stunden und sieben Tage die Woche ist der Woebot da, nimmt alles, was ihm geschrieben wird, ernst und reagiert einfühlsam, gibt Tipps und schlägt je nachdem Atem- oder Körperwahrnehmungsübungen vor.
Weniger Verbindlichkeit
Chatbots seien eine Chance, ein gutes, niederschwelliges Angebot, mit dem viel erreicht werden könne, sagt Thomas Berger, Leiter der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Bern. «Viele Menschen haben psychische Probleme und weder Zeit noch Geld für eine Therapie.» Adäquat eingesetzt, habe die App durchaus einen Nutzen.
Allerdings sei die Abbruchquote bei virtuellen Selbsthilfeprogrammen sehr hoch, weiss Berger. «Die Bereitschaft, eine heruntergeladene App dauerhaft anzuwenden, ist klein.» Mit realen Therapeuten entstehe mehr Verbindlichkeit. Digitale Übungen würden zudem oft nicht lange genug gemacht, um einen positiven Effekt zu erzielen.
Noch gibt es keine aussagekräftigen Studien zur Wirksamkeit. Berger geht davon aus, dass viele der Programme nicht von Psychologen entwickelt werden, sondern von Technikern, die sich an Skripts der Verhaltenstherapie orientierten.
Wie ein Selbsthilfe-Ratgeber
Trotz der Einschränkungen hält der Psychologe die digitale Therapie für empfehlenswert. Ausgenommen seien Menschen in akuten Krisen. Die Wirkung sei vergleichbar mit dem Lesen eines Selbsthilfebuchs. «Im richtigen Moment kann es wichtige Impulse geben, langfristig ersetzt es aber nicht die Arbeit mit einer Therapeutin.» Die Suchtgefahr schätzt Berger als vernachlässigbar ein. Für Junge sei der Woebot nicht cool genug. «Ältere Menschen profitieren mehr und geraten weniger schnell in Abhängigkeit von Onlinetools.»
Berger und sein Team entwickeln eigene Selbsthilfeprogramme als Ergänzung zum realen Therapieprozess. «Unsere Tools basieren auf therapeutischen Konzepten, anhand derer wir Klienten begleiten.» Nicht so beim Woebot. Dessen Ziel sei es lediglich, die negativen Gedankenmuster zu erkennen und darauf mit positiven zu reagieren.
Vom Dilemma überfordert
Der Ethiker Peter G. Kirchschläger von der Universität Luzern meldet bei virtuellen Coaches grundsätzliche Bedenken an. «Kirchliche Seelsorge und Therapie sind personale und relationale Geschehen, beides können wir mit einer Maschine nicht etablieren.» Selbst wenn die Kommunikation mit dem Smartphone sehr intensiv sei, bleibe sie eine Interaktion zwischen Mensch und Objekt, keine Beziehung.
«Die zwischenmenschliche Dimension und eine Beziehungsebene sind aber Voraussetzungen für einen therapeutischen, seelsorgerlichen Prozess», sagt Kirchschläger. Zudem treten in der Seelsorge oft Fragen und Probleme auf, für die es keine einfache Lösung gibt. «Leben heisst auch Widersprüche aushalten und mit ethischer Komplexität umgehen.» Davon sei die künstliche Intelligenz überfordert.
Die Zahl der virtuellen Coaches wächst, obwohl Fragen der Datensicherheit offen sind. Das stört den süssen Woebot nicht. «Tiny conversations to feel your best», verspricht er und schwenkt sein Händchen zum Gruss.