«Wer Roboter erforscht, lernt viel über Menschen»

Wer spricht denn da?

Damit die Interaktion mit Chatbots angenehmer wird, müssen diese menschlicher werden, sagt die Linguistin Kerstin Fischer. Auch Liebe zwischen Mensch und Maschine sei denkbar.

Wir sprechen über das Internet miteinander. Wie wissen wir, dass Sie kein Chatbot sind?

Kerstin Fischer: Zuerst müssten wir uns darüber einigen, welche Chatbots gemeint sind, da sie ständig weiterentwickelt werden. Chatbots können genau das, was ihnen beigebracht wurde. Der Chatbot ­einer Airline verarbeitet Informa­tionen zu Flügen. Für Erstdiagnosen in der medizinischen Versorgung  können Chatbots eingesetzt werden. In der Forschung gibt es ­einige tolle Chatbots, mit denen sehr gute Konversationen möglich sind.

Haben wir es vielleicht mit ­einem Expertinnen-Chatbot zu tun?

Nein. Mit mir können Sie nicht nur über mein Fachwissen reden, sondern spontan über Gott, die Welt und das Wetter. Allein das ist der Beweis, dass ich kein Chatbot bin.

Werden Chatbots entwickelt, um Menschen zu ersetzen?

Das ist sicher ein Motiv. Im Servicebereich ist es natürlich günstiger, auf Chatbots zu setzen, statt Callcenter zu betreiben. Wobei meine Studierenden soeben in einer Untersuchung herausgefunden haben, dass viele Nutzer von Help­lines lieber mit Chatbots Textnachrichten austauschen als mit Menschen.

Warum?

Wenn die Leute einem Chatbot ­ihre Fragen stellen, können sie sicher sein, dass sie nicht kritisiert werden. Sie fühlen sich nicht dumm, selbst wenn sie dreimal die gleiche Frage stellen müssen. Vor Chatbots schämen wir uns nicht. Und Chatbots verlieren nie die Geduld.

Dann wären die Chatbots eigentlich die besseren Menschen?

Nur wenn es um das sture Abfragen und Weitergeben von Informationen geht, ist die Technik ebenbürtig. In allen anderen Belangen der Kommunikation ist die künstliche Intelligenz weit davon entfernt, mit dem Menschen zu konkurrieren.

Wie lange noch?

Das ist schwierig vorherzusagen. Im kommunikativen Bereich gab es in den letzten Jahren nur kleine Fortschritte. Ein Sprung gelang bei Sprachassistenten wie Siri oder Alexa, weil nun viel grössere Datenmengen zur Verfügung stehen. In der sozialen Kommunikation bleibt der Rückstand riesig.

Nur wenn es um das sture Abfragen von Informationen geht, ist die Technik dem Menschen ebenbürtig.
Kerstin Fischer, Lingustin

Warum muss ein Chatbot überhaupt dem Menschen ähnlich werden? Es reicht doch, wenn er die Informationen weitergibt.

Diese Frage wird in der Forschung intensiv diskutiert. In der Anwendung zeigt sich: Jedes Merkmal aus der menschlichen Interaktion, mit dem ein Roboter oder ein Chatbot ausgerüstet wird, macht es leichter. Die Kommunikation mit einem Chatbot wird sogleich angenehmer. Wenn ich mit dem Roboter interagiere, fühle ich mich wohler dabei. 

Was für Merkmale meinen Sie?

Menschen haben einen unglaublichen Reichtum an Möglichkeiten zur Interaktion und Koordination. Wir nehmen Zwischentöne wahr, reagieren auf Signale, die das Gegenüber sendet. Wenn ich spreche, sehe ich Ihr Nicken oder merke, dass Sie mich wohl nicht verstehen. Sollen Roboter gut mit uns interagieren, müssen sie das können.

Stellen wir an Roboter die gleichen Ansprüche wie an Menschen?

Das würde ich nicht sagen. Die Leute behandeln Roboter nicht komplett gleich wie Menschen. Aber wenn der Roboter darauf programmiert ist, dass er kommt, wenn ich ihn rufe, und er reagiert mit zwei Sekunden Verspätung, kann ich nicht anders, als die Verzögerung im Licht der zwischenmenschlichen Kommunikation zu interpretieren.

Und welche Schlüsse ziehen Sie aus der späten Reaktion?

Zögern bedeutet nie Zusage. Frage ich jemanden, ob er mir hilft, und er zögert, weiss ich schon, dass er lieber nicht will. Vielleicht passe ich meine Erwartungen an, nachdem ich mit dem Roboter hundertfach interagiert habe. Aber vorerst benutze ich die Interpretationsstrategien, die ich von der zwischenmenschlichen Interaktion kenne.

Haben Chatbots noch weitere Defizite in der Kommunikation?

Ironie funktioniert gar nicht. Und spreche ich mit einem Chatbot, entsteht dabei nichts. Ich werde als Persönlichkeit nicht wahrgenommen. Der Chatbot verarbeitet lediglich Signale, analysiert sie und reagiert so, wie es sein Programm vorsieht. Mit Robotern baut man nie an einer gemeinsamen Wissensbasis. Zwischen Menschen hingegen wird das Verstehen interaktiv hergestellt.

Robotern fehlt die Spontaneität?

Mehr noch. Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, schweifen sie vielleicht vom Thema ab. Aber gerade dann erfahre ich etwas über die Persönlichkeit meines Kommunikationspartners und kann später darauf zurückkommen. Der Roboter reagiert nur auf Themen, von denen ihm jemand vorher gesagt hat, dass sie wichtig sein werden.

Gibt es Bereiche in der Kommunikation, in denen künstliche Intelligenz dem Menschen überlegen ist?

Mit autistischen Kindern wurden mit Robotern erstaunliche Erfolge in der Therapie erzielt. Auch bei dementen Menschen kann der Einsatz sinnvoll sein. Meine Grossmutter war gegen Ende ihres Lebens dement. Da war es für ihr Umfeld manchmal schwer, wenn sie die immer gleichen Sätze mit der immer gleichen Intonation sagte. Einem Roboter sind solche Sachen egal.

Entwickeln wir positive Gefühle gegenüber Robotern, wenn sie menschlicher werden? Liebe sogar?

Menschliche Züge sind nicht einmal nötig. Ein Kind liebt ja auch seinen Teddybären.  

Ich bedanke mich auch bei einer automatischen Tür, wenn sie sich öffnet. Das ist einfach höflich.
Kerstin Fischer, Lingustin

Ein sozialer Roboter kann noch viel mehr als ein Teddybär. Drohen da die Grenzen zu verschwimmen?

Interagieren Menschen mit sozialen Robotern, verhalten sie sich tatsächlich so, als ob sie vergässen, mit wem sie es zu tun haben. Mit ­einem Kollegen von der Stanford University bin ich daran, ein Modell zu entwickeln, das diesen Prozess beschreibt. Bisher gab es zwei Erklärungen: Die Leute sind verwirrt und wissen nicht mehr, dass es eine Maschine ist, oder sie behandeln den Roboter wider besseren Wissens wie einen Freund, so wie das Kind sein Stofftier vermenschlicht.

Und was ist Ihre Erklärung?

Ich traue den Menschen ein wenig mehr zu und gehe davon aus, dass sie eigentlich wissen, mit wem sie es zu tun haben. Aber sie erkennen die Signale, die ein Roboter sendet. Wie ich an einen Apfel denke, wenn ich das Wort Apfel höre, interpretiere ich das Lächeln des Roboters als ein Lächeln und erwidere es. Wenn wir einen Film schauen, kriechen wir auch unter die Decke, wenn es gruselig wird, obwohl wir wissen, dass der Tiger nicht gleich in die Stube springt. Diese beiden Ebenen sind immer gleichzeitig da.

Und ein höflicher Mensch bleibt höflich, selbst wenn er nur mit einem Chatbot telefoniert?

Genau. Ich bedanke mich auch bei einer automatischen Tür, wenn sie sich öffnet. Das ist einfach höflich.

Verändert die Kommunikation mit Chatbots die Art, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen?

Spreche ich lange nur noch mit Robotern, beeinflusst das natürlich meine Erwartungen an Interaktionen. Aber wenn ich dann mit Menschen so spreche wie mit den Robotern, merke ich sehr schnell, dass da etwas anderes zurückkommt, und passe mich wieder an.

Weshalb interessieren Sie sich als Linguistin eigentlich für Robotik?

Indem ich über Roboter forsche, lerne ich sehr viel über die Menschen. Was es bedeutet, miteinander sozia­le Räume zu teilen, können wir am besten herausfinden, indem wir fragen, was es bräuchte, einen Roboter an die Stelle eines Menschen zu setzen. Zudem kann ein Mensch seine nonverbale Kommunikation nie ganz kontrollieren. In einem Experiment mit zwei Menschen gibt es also immer Abweichungen. Die Roboter tun immer genau dasselbe. Für die Erforschung sozialer Signale sind sie einfach der Knüller.

Kerstin Fischer, 53

Die Linguistin leitet das Human-Robot Interaction Lab in Sønderborg, Dänemark. Zudem ist sie Professorin für sprachliche und technische Inter­ak­tion an der Universität Süd Dänemark.Kerstin Fischer hat an der Universi-tät Hamburg promoviert und schrieb an der Universität Bremen ihre Habili­ta­tion in englischer Linguistik. Sie ar­beitet eng mit den Entwicklern von sozia­len Robotern zusammen