Sie gilt als eine grosse Errungenschaft in der deutschen Nachkriegsgesellschaft: die Erinnerungskultur mit Blick auf den Holocaust. Diesen Frühling jährte sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal, und das Gedenken war omnipräsent. Nicht nur im Land des einstigen Aggressors. Veranstaltungen, die der Gräuel des Krieges und ihrer Opfer gedachten, fanden in vielen Ländern statt.
Der runde Jahrestag markiert das Ende eines Krieges, der auf allen Kontinenten verheerende Konsequenzen hatte. Er markiert auch einen Einschnitt in die Art unseres Erinnerns. Zum 90. Jahrestag wird es sie kaum mehr geben: die Zeitzeugen, die vor Publikum und in ihren Familien die Geschichten weitergeben – von Kämpfen, Gefangenschaft, Tod, Flucht und Hunger.
«Kommunikatives Gedächtnis» nennt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann die Erzählungen aus erster Hand. Die emeritierte Professorin der Universität Konstanz hat über Jahrzehnte zu Erinnerung und Gedenken geforscht.
Orientierung und Sinn
Bleiben wird das, was Assmann als «kulturelles Gedächtnis» versteht. Dieses Gedächtnis sei «das Langzeitgedächtnis einer Gesellschaft», erklärte sie in einem Radiobeitrag des Bayerischen Rundfunks. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses und wird über viele Generationen weitergegeben – durch Kunst und Literatur, aber auch Gedenktage, Rituale und Denkmäler. Es bildet den Rahmen, in dem sich eine Gesellschaft verortet, es stiftet der Gruppe Orientierung und Sinn.