Schwerpunkt 29. Oktober 2025, von Isabelle Berger, Beatrix Ledergerber

Das Jenseitige im Diesseitigen erfahren

Mystik

Die Suche nach einer Erfahrung, die in die Nähe des Göttlichen oder zu einer tieferen Wahrheit führt, ist in allen Religionen zu finden. Der Weg führt dabei oft über Rituale.

«zVisite» – die interreligiöse Zeitung im «reformiert.»

«zVisite» ist eine interreligiöse Kooperation von «reformiert.», die evangelisch-reformierte Zeitung / «Forum», katholisches Pfarrblatt Kanton Zürich / «tachles», das jüdische Wochenmagazin / «Lichtblick», Zeitung der römisch-katholischen Pfarreien des Kantons Aargau / «Christkatholisch», Zeitschrift der Christkatholischen Kirche / «Kirchenbote», evangelisch-reformierte Zeitung BS, BL, SO, SH und Zentralschweiz / katholisches «Pfarrblatt» Bern

Die Wände, der Boden, die wenigen Möbel und Dekorationen – alles in diesem kleinen Raum zeugt von Ästhetik und ausgefeilter Handwerkskunst. Das Holz und der Lehmputz strahlen Wärme und Geborgenheit aus. Durch eine milchige Fensterscheibe fällt sanftes Tageslicht auf die Strohmatten am Boden. 

Auf diesen Tatamis sitzt der Gast und wartet. An der Scheibe hängt eine Papierrolle mit einer japanischen Kalligrafie, daneben an einem halb in die Wand eingelassenen Baumstamm ein dezentes Blumenarrangement. Im Raum ist es still.

Teezubereitung als Ritual

Im Chashitsu, dem japanischen Teeraum im Berner Geschäft Länggass-Tee, beginnt bald eine zenbud-dhistische Teezeremonie. Das im alten Japan entwickelte Ritual ist eng mit der Philosophie des Zen-Buddhismus verbunden. Es basiert auf den vier Prinzipien Harmonie, Respekt, Reinheit und Gelassenheit und lädt die Teilnehmenden zur inneren Einkehr ein.

Die Teemeisterin Ursula Kohli betritt den Raum und stellt ein Tablett mit Süssigkeiten ab. Dann verneigt sie sich und heisst den Gast willkommen. Aus dem Vorraum holt sie nach und nach die Gegenstände, die sie für die Zubereitung des Tees benötigt, und kniet sich vor den köchelnden Wasserkessel in einer Ecke des Teeraums hin. 

Raum für Stille und Deutung

Das Schweizer Kunstduo Gen Atem / Miriam Bossard ist für sein interdisziplinäres Schaffen in den Bereichen Malerei, Kunst im öffentlichen Raum, Performance und Musik bekannt. Für das Dossier «Mystik» besprayte das Duo Fotografien, um bestimmte Bildbereiche mit Farbschichten gezielt zu verdecken. So schafft es sowohl Irritation als auch Raum für Stille, Kontemplation und Deutung. Gen Atem und Miriam Bossard verstehen das Deuten der Werke durch die Betrachtenden als mystischen Vorgang und als Bestandteil ihrer Werke.

Mit gemessenen Bewegungen reinigt sie Schritt für Schritt die Utensilien, erwärmt die Schale, gibt Matcha-Pulver und heisses Wasser hinein und schäumt den Tee mit dem Chasen auf, einem kleinen Schwingbesen aus Bambus. Dann übergibt sie die Teeschale dem Gast zum Trinken. Dieser hat inzwischen seinen Gaumen mit einer Süssigkeit auf den bitteren Tee vorbereitet.

Jahrelange Übung

Die Bewegungen der Teemeisterin folgen einem fixen Ablauf. Sie sind bedacht, präzise und verströmen eine wohltuende, tiefgreifende Ruhe. Eine Teemeisterin braucht viele Jahre der Ausbildung und Übung, um die beruhigende Wirkung auf den Gast zu erreichen. «Wenn ich mich ruhig bewege, wird auch der Gast ruhig», sagt Kohli im Gespräch nach der Zeremonie.

Dass in der Teezeremonie nichts zufällig, sondern alles bewusst geschieht, verstärkt den Effekt. Und indem die Teemeisterin etwas für den Gast tue, fühle sich dieser als lebendiges Wesen wahrgenommen, sagt Kohli. «So kann der Gast die Erfahrung machen, dass es Frieden und Harmonie überhaupt gibt.» 

Islam: Sufismus

Als im mittelalterlichen Persien die Gesetzlichkeit im Islam immer ausgeprägter wurde, entstand als Gegenbewegung eine mystische Strömung. Diese leitet dazu an, Gott unmittelbar zu erleben, im Rahmen von spirituellen Übungen, zu denen Gebetsmeditationen ebenso gehören wie Musik und Tanz. Sufismus nennt sich die islamische Mystik, gelebt wird sie in Sufi-Gemeinschaften, zu denen im heutigen Iran Menschen aus allen Schichten und Berufen gehören. Es gibt sie etwa auch in der Türkei, den USA und der Schweiz. In manchen Orden werden die Angehörigen Derwische genannt. Sie sind bekannt für ihre rituellen Tänze, bei denen sie sich um sich selbst drehen, ihre Gewänder wirbeln lassen und in spirituelle Versenkung geraten.

Die Mystik hat weit über den Sufismus hinaus die persische Philosophie und Literatur beeinflusst. Ein bedeutender Sufi-Denker war im 13. Jahrhundert der Dichter Dschalaluddin Rumi. Er fasste das Wesen der Mystik zusammen: «Die Seele des Gebets ist das Aufgehen des Selbst in Gott.» Bis heute wird Rumi in vielen Sprachen gelesen, in den USA gehört er zu den meistverkauften Dichtern. heb

Dafür brauche der Gast, nicht wie bei anderen Arten der Versenkung, keine Übung. Bereits beim ersten Teezeremoniebesuch stelle sich diese Ruhe ein. Erfahrene Gäste erlebten das Ritual aber umso tiefer.

Vom kleinen Teeraum in die Citykirche Offener St. Jakob in Zürich, wo Derwische im Drehtanz die Verbindung zu Gott suchen. Langsam schreiten sie in den Raum und setzen sich im Kreis auf Kissen. Es sind Frauen und Männer des Mevlevi-Ordens, der in der mystischen Tradition des Islams steht.

Gott im Tanz begegnen

Das Ritual wird mit einem Gebet eröffnet, in dem verschiedene Namen Gottes repetiert werden. Der Vorbeter beginnt, alle stimmen ein. Tamburinklänge leiten über zu Gesängen. Und nun spricht Peter Hüseyin Cunz ein Gebet: «Wir bitten Gott um Licht, vor uns, hinter uns, in uns.» 

Cunz hat im Mevlevi-Orden den Rang eines Scheichs. Er ist der spirituelle Führer der Gemeinschaft, deren Mitglieder sich wöchentlich treffen und ansonsten zu Hause Kontemplation halten und das Drehen üben.

Jede Bewegung des Drehrituals ist langsam und konzentriert. Die Derwische verneigen sich, kreuzen die Arme vor der Brust, beginnen zu drehen. Sie öffnen die Arme, drehen sich immer schneller. Die langen weissen Gewänder schwingen hoch. Der schwarz gekleidete Tanzmeister leitet den Tanz mit Zeichen.

Plötzlich kommt ein solcher Augenblick – und du verschwindest.
Vater Yordan Pashev, Bulgarisch-orthodoxe Kirchgemeinde

Viermal wiederholt sich das Drehen, stets beginnend mit einer Verbeugung in Richtung des Scheichs. «Die Derwische verneigen sich vor dem Licht, das von Osten kommt. Ich stehe auf einem Fell, das nach Mekka, in Richtung des aufgehenden Lichtes, ausgerichtet ist», erklärt Cunz. Die Musik wird schneller, dann wieder langsamer. Reine Saitenklänge zeigen an, dass das Ritual bald endet. Nach Gebeten schreiten die Derwische hinaus.

Das Ritual wird «Sema» genannt, was «hören» bedeutet. «Wir lösen uns von der eigenen Existenz, um auf den Geschmack der ewigen Existenz zu kommen», sagt Cunz. Das Drehen müsse geübt werden: Es brauche Wochen und Monate, bis der Körper mitmache und es einem nicht mehr schwindlig werde. Dazu müsse man ganz in seiner Mitte verankert sein. Aus dieser Zentriertheit heraus gestalten die Derwische ihren Alltag.

Betend in eine andere Welt

Dass mystische Erfahrungen weit in den Alltag hineinwirken, weiss auch Yordan Pashev. Der ehrenamtliche Priester der bulgarisch-orthodoxen Kirchgemeinde Heiliger Georg in Zürich berichtet von seinen Erfahrungen in den vierstündigen frühmorgendlichen Liturgien einer griechischen Mönchsgemeinschaft. «Du bist umhüllt von Weihrauch und dieser besonderen Atmosphäre. Plötzlich kommt so ein Moment – und du verschwindest, siehst und hörst nichts mehr, fühlst dich in einer anderen Welt.»

Die Sehnsucht nach dieser starken Erfahrung verliere man nicht mehr, sagt Vater Yordan. Sie hilft ihm im Alltag, wo er sich den Lebensunterhalt mit Pizza-Austragen verdient. «Regelmässiges Beten, auch ohne diese besonderen Momente, die natürlich nicht immer eintreten, gibt Ruhe und Gelassenheit.» Und in der Seelsorge erfährt er: «Menschen, die im Herzensgebet geübt sind, wissen beinahe körperlich, dass Gott gerade in schwierigen Situationen bei ihnen ist. Sie fühlen sich getragen und geliebt.»

Buddhismus: Zen

Per se mystisch ist der Buddhismus. In dieser Religion geht es nicht darum, eine Gottheit zu verehren und nach deren Geboten zu leben. Sondern um Erlösung durch eigenes Bemühen mit dem Ziel, sich von den Begierden des Lebens zu befreien und aus dem leidvollen Rad der Wiedergeburt auszubrechen. Eines der Mittel ist die Meditation: Die geistige Versenkung soll tiefere Einsichten in die Mechanismen der Welt und geistige Gelassenheit bewirken.

Um das Jahr 500 n. Chr. herum entwickelte der Wandermönch Bodhidharma in China die Schule des Chan-Buddhismus. In dieser Lehre sind die meditative Selbstbetrachtung, aber auch die körperliche Ertüchtigung zum Erlangen von Erleuchtung zentral. In Japan entstand später eine eigene Ausprägung des Chan: der Zen-Buddhismus mit seiner heute auch im Westen praktizierten Sitzmeditation. Zen beeinflusste die japanische Kultur stark und führte zu spezifischen Künsten wie Schwertkampf, Bogenschiessen, Kalligrafie und Teezeremonie. Bodhidharma, der Schöpfer und erste Patriarch des Zen, gilt der Legende nach auch als Erfinder der asiatischen Teekultur. heb

Das Herzensgebet ist eine Form der Meditation, die im orthodoxen Christentum seit der Frühzeit gepflegt wird. Eingebettet in die Liturgie, spielt es auch in Vater Yordans Kirchgemeinde eine tragende Rolle. Einmal im Monat feiert sie in der Kapelle von Maria Hilf Zürich-Leimbach Gottesdienst.

Gerade stellt ein junger Mann eine Marien-Ikone auf, und drei junge Frauen begrüssen sich in der vordersten Bank. Der Priester im goldenen Gewand stellt Kelch und Kreuz auf den Altar. Nach und nach erscheinen die Gläubigen zu ihrer «göttlichen Liturgie».

Herzensgebet wird Teil des Wesens 

Dann beginnt der fast durchgehend gesungene Gottesdienst. Der Bass des Priesters wechselt ab mit den hellen Stimmen der drei jungen Frauen, manchmal antworten alle Anwesenden im mehrstimmigen Wechselgesang. Weihrauchduft erfüllt den Raum. Immer und immer wieder ertönen die Worte «Gospodi pomiluj», Herr erbarme dich.

Diese Formel ist Teil des Herzensgebets. «Zu den Worten ‹Jesus, Sohn Gottes› tief einatmen, zu ‹erbarme dich meiner› ausatmen. Und das viele Male wiederholen», führt Vater Yordan nach dem Gottesdienst aus, «so wird das Herzensgebet ein Teil deines Wesens.» Man könne das Gebet mit rhythmischen Bewegungen kombinieren, im Gehen oder vor einer Ikone beten. «Du konzentrierst dich auf einen Punkt, und manchmal kommt es vor, dass du durch diesen hindurch auf die andere Seite kommst.» In diesem Moment sei die Seele bei Gott.

Rituelles Händewaschen

Die Seele zu Gott führen will auch die jüdische Geheimlehre Kabbala. Yona-Dvir Shalem ist Jude und aufgewachsen in der jüdisch-orthodoxen Welt in Jerusalem und Zürich. Wenn er morgens aufsteht, hält er als Erstes im Bad seine Hände kurz unters Wasser und spricht ein Segensgebet: «Gelobt seist Du, Herr, unser Gott, König des Universums, der uns mit seinen Geboten geheiligt und uns das Händewaschen befohlen hat.» Er trocknet die Hände – und ist bereit für den Tag.

Shalem, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Jüdischen Hochschule Heidelberg, befasst sich in seiner Lehrtätigkeit mit der Kabbala, die ihm durch Austausch mit kabbalistischen Rabbinern bereits vertraut war. «Die Kabbala gilt als das ‹Geheimnis der Tora›», sagt er.

Rituale aus dem Alltag mit kabbalistischem Hintergrund

Judentum: Kabbala

Wer «Kabbala» hört, denkt dabei oft an magische Praktiken, Amulette, Glücksbringer, aber auch an Zahlenmystik und die geheimnisvolle Kraft der hebräischen Schriftzeichen. Diese populäre Vorstellung ist stark geprägt von der als «Hollywood-Kabbala» apostrophierten Praxis, die am internationalen Kabbalah Centre gelehrt wird. Laut Kritikern bleibt diese Form der jüdischen Mystik jedoch an der Oberfläche. Zugleich scheint sie zu faszinieren: Zu den Anhängerinnen gehören unter anderen US-Stars wie Madonna oder Demi Moore.

Die traditionelle jüdische Kabbala hingegen hat ihre Wurzeln im europäischen Judentum und ist ein intellektueller und zugleich emotionaler Weg zur Gotteserfahrung. Es handelt sich um eine komplexe Lehre, die sich im frühen 13. Jahrhundert aus älteren Traditionen heraus in Südfrankreich entwickelte. Mystisch an der Kabbala ist das Bestreben, Gott durch das Studium der überlieferten Schriften nicht nur distanziert intellektuell zu erkennen, sondern «wahrhaftig in sich aufleben zu lassen», wie der kanadisch-jüdische Professor und Rabbi Jacob Immanuel Schochet (1935–2013) in einem Aufsatz erläutert. heb

Demgemäss hat die Tora, die heilige jüdische Schrift, weitere Bedeutungsebenen, die sich mittels Studium der kabbalistischen Schriften und Lehren erschliessen lassen. Wer die Ebenen kennt und versteht, kann immer näher zu Gott vordringen und das Göttliche in der Welt erkennen. Die Kabbala ist die jüdische Form der Mystik, wobei im Judentum dieser Begriff nicht verwendet werde, da er zu stark christlich konnotiert sei, sagt Shalem.

Die Kabbala gelte als gefährlich. Denn gemäss traditionellem Glauben könne man von ihrer Kenntnis verrückt werden, sagt Shalem. Ursprünglich durften nur ausgewählte Personen die Kabbala studieren: verheiratete, über 40-jährige Väter, denn sie galten als gefestigt, wodurch es unwahrscheinlicher sein soll, dass sie den Verstand verlieren. In bestimmten Kreisen gilt dies bis heute, doch über die Jahrhunderte sickerten die kabbalistischen Lehren auch ins allgemeine Judentum ein und prägten viele heute gängige Rituale wie das morgendliche Händewaschen, Netilat Jadajim.

Fest im Alltag verankert

Laut Shalem ist es in allen jüdischen Strömungen verbreitet – auch im säkularen Judentum. Der Ablauf ist nicht immer genau gleich. Traditionell wird dafür ein zweihenkeliges Gefäss benutzt, die Natla. Shalem selber pflegt eine rudimentäre Form des Rituals ohne Gefäss.

Das Ritual nimmt Vorstellungen zur Welt des Schlafs auf, die in der Tora angedeutet werden. «Die kabbalistischen Texte führen aus, dass die Seele im Schlaf zu den Toten in die Unterwelt abtaucht», sagt Shalem. Im Judentum gelten die Toten als im religiösen Sinn das «Unreinste» überhaupt, gefolgt vom Kontakt zu Toten. In dieser unreinen Sphäre bestehe gemäss der Kabbala höchste Gefahr, auch weitere Sünden zu begehen. Davon müsse man sich nach dem Aufwachen reinwaschen.

Durch das Ritual sind wir eine Gruppe in Kontakt mit Gott.
Yona-Dvir Shalem, Jüdische Hochschule Heidelberg

«Besonders in Europa distanziert sich das Judentum von der Kabbala, da es sie als heidnisch ansieht», sagt Shalem, der selbst ursprünglich aus Tunesien stammt, wo die Kabbala im jüdischen Alltag auch heute noch präsent ist. Jüdische Menschen ohne Bezug zur Kabbala begründen das Ritual hygienisch: Wer weiss, was die eigenen Hände im Schlaf alles berührt haben.

Handschlag mit Gott

Für Shalem ist das Händewaschen ein unverzichtbares, gar dringendes Bedürfnis. «Wenn ich es nicht mache, verfolgt es mich.» Er habe dann das Gefühl, unreine Hände zu haben und nichts mehr berühren zu dürfen, da es sonst verschmutzt werde. Shalem ist das Ritual aber auch wichtig als sein «persönlicher täglicher Handschlag mit Gott», wie er es ausdrückt. «Ich glaube, dass Gott mich beschützt, wenn ich es durchführe.» Unbewusst verbinde es ihn zudem mit der ganzen jüdischen Gemeinschaft. «So sind wir eine Gruppe in Kontakt mit Gott.»

Eine Gemeinschaft in Kontakt mit Gott – das ist auch die in der Kapelle Maria Hilf versammelte bulgarisch-orthodoxe Gemeinde. Noch lange nach dem Gottesdienst klingt das «Gospodi pomiluj» nach. Ganz im Geist des Herzensgebets, wie es von Vater Yordan als Tür zur Gotteserfahrung beschrieben wird.

Christentum: Unio mystica

Die christliche Mystik entstand in den Klöstern des Mittelalters als Gegenbewegung zur rational und philosophisch betriebenen Theologie an den Univer­sitäten. «Der Glaube der Frommen vertraut, er diskutiert nicht», sagte der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux (1090–1153) als einer der führenden Köpfe der mystischen Bewegung. Ziel der christlichen Mystik ist die Unio mystica, die Vereinigung mit Gott beziehungsweise das tiefe Spüren von Gottes unmittelbarer Gegenwart. Solche Momente der Erleuchtung können etwa bei geistlicher Lektüre, beim Gebet, in der Meditation und der Kontemplation entstehen.

Neben Mystikern wie Meister Eckhart, Johannes vom Kreuz oder Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, traten auch Mystikerinnen in Erscheinung, die bis heute bekannt sind: etwa Teresa von Avila und Hildegard von Bingen. Niklaus von Flüe (1417–1487), der Schweizer Nationalheilige, war ebenfalls Mystiker. Die katholische Amtskirche verdächtigte die Mystik oft der Ketzerei. Auch die Reformatoren konnten ihr wenig abgewinnen, aber heute interessieren sich Christinnen und Christen al-ler Konfessionen verstärkt dafür. heb