Wenn Bakterien Beton machen und Wüste das grosse Ganze zeigt
Wie in der Betonherstellung Bakterien und Sonnenlicht Hoffnung wecken. Und warum sich Karin Hagedorn-Hoefliger in der Sandwüste als Teil eines grösseren Ganzen fühlt.
Die Alternativen …
Saphir als Baustoff wie in der biblischen Vision vom Neuen Jerusalem wäre viel zu teuer – aber Beton aus Altglas, durch Mitarbeit von Bakterien oder mithilfe von Sonnenlicht? Das sind Möglichkeiten, und sie sind dringend notwendig. Herkömmlicher Beton basiert nämlich auf dem rar werdenden Sand aus Gewässern. Wüstensand ist ungeeignet: Die Körner sind runder und benötigten daher zu viel Zement.
«Wir wissen, dass jene Sandreserven, die sich mit heutigen Mitteln ethisch, ökologisch und ökologisch vertretbar abbauen lassen, rasant schwinden», erklärt Dirk Hebel. Er ist Professor für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der Wissenschaftler nennt drei alternative Wege für weniger Sand im Beton.
Einer davon ist Recycling. Fein gemahlenes Altglas – das noch oft im Abfall landet – wird etwa in Florida als Sandersatz an Stränden eingesetzt. «Kann das Glas wie natürlicher Sand gebrochen werden, ist die Verwendung im Beton ebenfalls möglich», sagt Hebel. Auch Recyclingbeton gewinne an Bedeutung. 80 Prozent der Bauabfälle würden in der Schweiz bereits wiederverwertet. «Dabei werden Bauteile zu Korngrössen von Sand bis Kies gebrochen und ersetzen dieses Material im Beton», erklärt Hebel.
Weitere neue Wege sind Substitution und Synthese. Der Erste versucht, Sand durch andere Stoffe zu ersetzen. Eine vielversprechende Idee ist laut Hebel, Baumaterialien mithilfe organischer Substanzen zu kultivieren. «Mikroorganismen sind in der Lage, Wüstensand in Kalzium umzuwandeln.» Dabei entstehe ein Kitt, mit dem Bausteine produziert werden können. Bei der Synthese schliesslich werden Wüstensandpartikel mittels gebündelter Sonnenstrahlen verschmolzen.
Solche Neuentwicklungen müssten im Zusammenspiel dreier Strategien umgesetzt werden, fordert Dirk Hebel. Effizienz vermindert den Verbrauch limitierter Materialien. Kohärenz steht für den Ersatz bisheriger durch neue Stoffe. Und Suffizienz bedeutet: nur dort Beton verwenden, wo es nicht anders geht. «So könnte es gelingen, alternative Baustoffe zu entwickeln und so unsere Abhängigkeit vom Sand zu verringern.»
… und die Spiritualität
Ein Menschenleben ist viel kleiner und unbedeutender als Gottes Ewigkeit. Das drückt der Spruch aus dem Buch Jesus Sirach aus. Das Symbol für die Winzigkeit des Menschen ist ein Sandkorn. «So ein Korn kann man nicht spüren und kaum sehen, wenn man es in der Hand hält», sagt Karin Hagedorn-Hoefliger.
Die Psychologin und Psychotherapeutin hat sich auf ihren Reisen in die Sandwüste Rub al-Chali in Oman schon oft winzig gefühlt. Sie erzählt: «In der Weite der Wüste spüre ich, wie unglaublich klein mein Leben und Denken sind. Aber auch, dass ich Teil eines grösseren Ganzen bin.»
Rub al-Chali ist die grösste Sandwüste der Welt. Hagedorn organisiert mit einem Psychiater dort regelmässig Achtsamkeitstrekkings. «Wir nutzen die besondere Landschaft, um Achtsamkeit zu praktizieren», erklärt sie.
Neun Tage lang wandern die Teilnehmenden ungefähr fünf Stunden täglich durch den Sand. Gehen sie über die hohen Dünen, sacken sie manchmal bis zu den Knien ein. In den Sabchas, den Salzpfannen, versinken ihre Füsse nur zwei bis drei Zentimeter. Schritt um Schritt geht es so durch die sandige Weite. «Ich komme dabei zur Ruhe, es gibt keine Ablenkung», erzählt die Psychologin. Sie leitet die Gruppe an, mit den Sinnen präsent zu sein – den Wind an den Ohren zu spüren, die Formen des Sandes und Tierspuren zu betrachten.
Auch ihre Innenwelt sollen die Teilnehmenden aufmerksam wahrnehmen und wieder loslassen, ihre Gedanken und Gefühle – auch die schwierigen. So wie schon die Wüstenväter es taten, die christlichen Mönche, die ab dem 3. Jahrhundert in den Wüsten Ägyptens und Syriens Selbsterforschung betrieben.
«Mit der Zeit überträgt sich die Weite der Wüste ins Innere», berichtet Hagedorn. Eine abgehobene Erfahrung ist das aber nicht. Dafür ist es in Rub al-Chali zu heiss und zu mühselig. Und der Sand piekst in den Augen. Dennoch ist er für Hagedorn wunderschön. «Wie Karamellpuder.»