Wo er überall drinsteckt und warum das Klima Strände bedroht
Der weltweit zweitwichtigste Werkstoff steckt in einer riesigen Zahl von Alltagsprodukten. Doch wenn die Meeresspiegel weiterhin steigen, verschwinden kilometerweise Sandstrände.
Rohstoff …
Auf Sand bauen ist eine biblische Metapher. Mit Sand bauen ist Alltag. Dieser Rohstoff ist für zahlreiche Produkte der modernen Gesellschaft elementar: Er steckt in Beton und Ziegelsteinen, in Glas, Lacken und Klebstoffen, in Kosmetika, Mikrochips, Solaranlagen und anderem mehr. Gemäss dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen ist Sand mit 40 bis 50 Milliarden Tonnen pro Jahr nach Wasser der grösste gehandelte Rohstoff – und ein immer stärker gefährdetes Gut. China verbrauchte für den Bau von Häusern, Dämmen und Strassen in den letzten drei Jahren so viel Sand wie die USA in mehr als 100 Jahren.
Da Wüstensand für die Herstellung fester Bauteile zu feinkörnig ist, nutzt man Sand aus Flüssen und Meeren, entstanden in Hunderttausenden Jahren. In der Schweiz liefern ihn 500 Kiesgruben, der Abbau ist streng reglementiert, ein starker Mangel zeichnet sich hier noch nicht ab. Im Mai verabschiedete der Bundesrat die «Bodenstrategie Schweiz», die den Bodenabbau stärker schützen soll.
Es gibt zahlreiche Sande, für die Industrie ist Quarzsand der wichtigste. Er enthält einen hohen Anteil des Minerals Quarz, das durch Wasserabspaltung aus Kieselsäure entsteht und zu den härtesten Naturmaterialien gehört. Quarzsand ist ein Alleskönner. Er hat eine hohe mechanische Festigkeit, ist sehr säurebeständig und verfügt über elektrische Eigenschaften.
Eines der ältesten mit Quarzsand hergestellten Produkte ist übrigens Glas. Es existierte schon 1500 vor Christus und wurde für Schmuck und Gefässe verwendet. Heute ist er in Tausenden weiterer Produkten enthalten. Die Mikroelektronik etwa würde ohne Sand nicht existieren. In einem Handy befinden sich zahlreiche Komponenten, die zur Herstellung Quarzsand benötigen.
Er dient zudem als Füllstoff in Zahnpasta, Gummi, Anstrich- und Poliermitteln. Auch in Papier und Arzneimitteln ist er enthalten. Ausserdem hat er hervorragende Filterfunktionen: Trinkwasser, aber auch industriell gefertigte Getränke fliessen zur Reinigung durch Quarzsande. Und dann wird er auch zur Herstellung von Steingut, Steinzeug, Sanitärporzellan, Boden- und Wandfliesen verwendet. Die Liste ist fast endlos.
… und Klima
Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnte die Hälfte der Sandstrände dieser Welt verschwunden sein. So lautet das Fazit eines Teams der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission rund um den Wissenschaftler Michalis Vousdoukas. Das Team hat die Satellitendaten zu globalen Veränderungen der Küstenlinie zwischen 1984 und 2015 ausgewertet. Die Analysen aus dem Jahr 2018 machen einen Erosionstrend deutlich, der mit der Zeit sowie der Intensität der Treibhausgasemissionen zunimmt.
Mehr als ein Drittel der weltweiten Küstenlinie machen Sandstrände aus. Die wichtigen Zonen zwischen den Meeren und dem Landboden erfüllen nicht nur ökologische Funktionen, sondern sind als Erholungsgebiete für viele Länder von hoher wirtschaftlicher Bedeutung. Dass Strände kleiner werden, hat einerseits einen natürlichen Grund, die Erosion; doch die Klimakrise verschärft das Problem massiv.
So skizziert Vousdoukas’ Team zwei Szenarien aufgrund der Daten des Weltklimarates. Im pessimistischen Szenario mit einer Erderhitzung von 4,8 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts gegenüber der vorindustriellen Zeit könnte die Hälfte aller Strände bis dahin komplett verschwunden sein. Im massvollen Szenario mit einer Erwärmung von 2,8 Grad liesse sich der Rückzug der Strände um rund 40 Prozent verhindern. Betroffen wären vorab der Osten Nordamerikas, Australien, Süd- und Westasien, die Karibik, Deutschland und Polen.
Die bedrohten Strände liegen vor allem in dicht besiedelten Regionen, weshalb die Folgen besonders gravierend sein könnten: Die Bewohner sind schlechter vor Stürmen und Fluten geschützt, vom Tourismus abhängige Länder würden geschwächt. Gute Küstenplanung wie in den Niederlanden kann der Erosion entgegenwirken, doch die wirksamste Massnahme wäre Klimaschutz.