Spielzeug am Strand – und rarer Rohstoff im Alltag
Sandig ist das Land, in dem die Bibel entstand. Sand weckt auch Bilder von Strand und Meer. Und die Lust, spielerisch Wälle aufzuschütten, ohne jeden Zwang zur Effizienz.
Da sitze ich am Nordseestrand, der Wind bläst Sandkörner auf die eingecremte Haut. Wie so oft verwandle ich mich am Strand in einen Baumeister. Mein Sohn und ich kämpfen mit einem schnell aufgeschütteten Wall gegen die auflaufende Flut an. Wie immer verlieren wir den Kampf, weil wir eben auf Sand gebaut haben.
Viel Sand in der Bibel
Die Redensart, etwas auf Sand zu bauen, stammt aus der Bibel. Selbst der Bibelfernste bezieht sich oftmals, ohne es zu wissen, auf die Heilige Schrift, wenn er von Sand spricht. 25 Mal kommt das feinkörnige Element in der Zürcher Bibel vor. Hinzu kommen indirekte Bezüge: zum Beispiel in der Episode, wo Jesus Buchstaben auf die Erde malt, als die Heuchler eine Ehebrecherin steinigen wollen. Im wüstenhaften Palästina dürfte damit Sand gemeint sein. Also sind wir schon bei 26 Mal.
Hier am Nordseestrand kritzeln auch 2000 Jahre nach Jesus Menschen in den Sand, malen Herzen in den weichen Untergrund, setzen den Namen ihrer Liebsten in die Mitte. Ich dagegen benutze einen Notizblock. Gerade will ich den Satz hinschreiben: «In meinem Gedächtnis blitzen so viele Geschichten von Strand und Sandkasten auf wie Sand am Meer.»
Aber dann halte ich inne, frage mich, wie viele Körnchen Sand die Erde trägt. Die Unendlichkeit des Sandes hat schon vor Tausenden von Jahren fasziniert. Jüngst wurde sie auch von William Stewart aufgegriffen. Der Elfjährige zählte für einen Kinderwissenschaftskongress in den USA die Körner eines Kubikzentimeters Sand an seinem Heimatstrand und kam auf 27'000.
Angesichts dieses Ergebnisses wäre es vermessen zu behaupten, dass meine Erinnerungen mit der Zahl der Sandkörner am Meer mithalten könnten. Drei biblische Reiseerlebnisse sind mir jedoch sehr gegenwärtig. Etwa, wie ich mich dem Rummel am Jordan, wo Johannes der Täufer Jesus getauft haben soll, entzog und in das steinig-sandige Ödland hinauslief. Dort tauchten innere Bilder von der Versuchung Jesu in der Wüste auf. Jesus war mir dort deutlich näher als am biblischen Touristen-Hotspot.
Bibel, Sand und Wüste – diesem Dreiklang begegnete ich auch in der Sahara. Nach einer langen Tour durch Sanddünen kamen wir in eine Savannenlandschaft und setzten uns in der Mittagshitze unter einen Baum. Passend zum schattigen Plätzchen, erzählte ich meinem Freund, der von der Bibel wenig wusste, die Geschichte vom Propheten Jonas und dem schattenspendenden Rhizinusbaum, den Gott wachsen und sogleich wieder vertrocknen liess.
Der moderne Wüstenvater
Einen Baumeister-Künstler der besonderen Art traf ich in Kalifornien in der Nähe der mexikanischen Grenze. Er modellierte biblische Motive aus einem Gemisch von Zement und Wüstensand und bemalte die wimmelnde Figurenwelt in grellbunten Farben. Längst hatte er den Garten Eden erbaut, die Arche Noah stand auch schon auf einer Düne. Gerade gestaltete er den Auszug der Israeliten aus Ägypten, den Wüstenmarathon, der 40 Jahre dauerte. Tage zuvor aber hatte Starkregen einen Sandrutsch im Paradies ausgelöst. Der Eremit machte sich unverdrossen an die Reparatur.
Ein wenig erinnerte mich die Szene an den Bau meiner Sandwälle gegen die Flut. Eine Beschäftigung, die immer wieder neuen Einsatz erfordert. Dieses jeder Logik unserer effizienzgesteuerten Arbeitsgesellschaft widersprechende Tun hatte sich dieser moderne Wüstenvater in seinem verrosteten Wohnwagen zum Lebensprogramm gemacht. Es erinnert an die Passage in der Bergpredigt über die Vögel, die keine Vorräte anlegen und doch unbekümmert unter Gottes Schutz leben.