Schwerpunkt 26. August 2020, von Delf Bucher

Spielzeug am Strand – und rarer Rohstoff im Alltag

Sand

Sandig ist das Land, in dem die Bibel entstand. Sand weckt auch Bilder von Strand und Meer. Und die Lust, spielerisch Wälle aufzuschütten, ohne jeden Zwang zur Effizienz.

Juda und Israel waren so zahlreich wie der Sand, der am Meer ist; sie assen und tranken und waren glücklich.
1. Könige 4,20

Da sitze ich am Nordseestrand, der Wind bläst Sandkörner auf die eingecremte Haut. Wie so oft verwandle ich mich am Strand in einen Baumeister. Mein Sohn und ich kämpfen mit einem schnell aufgeschütteten Wall gegen die auf­laufende Flut an. Wie im­mer verlieren wir den Kampf, weil wir eben auf Sand gebaut haben.

Viel Sand in der Bibel

Die Redensart, etwas auf Sand zu bauen, stammt aus der Bibel. Selbst der Bibelfernste bezieht sich oftmals, ohne es zu wissen, auf die Heilige Schrift, wenn er von Sand spricht. 25 Mal kommt das feinkörnige Element in der Zürcher Bibel vor. Hinzu kommen indi­rekte Bezüge: zum Beispiel in der Episode, wo Jesus Buchstaben auf die Erde malt, als die Heuchler eine Ehebrecherin steinigen wollen. Im wüstenhaften Palästina dürfte damit Sand gemeint sein. Al­so sind wir schon bei 26 Mal.

Hier am Nordseestrand kritzeln auch 2000 Jahre nach Jesus Menschen in den Sand, malen Herzen in den weichen Untergrund, setzen den Namen ihrer Liebs­ten in die Mitte. Ich dagegen benut­ze einen Notizblock. Gerade will ich den Satz hinschreiben: «In meinem Gedächtnis blitzen so viele Geschichten von Strand und Sandkasten auf wie Sand am Meer.»

Aber dann halte ich inne, frage mich, wie viele Körnchen Sand die Erde trägt. Die Unendlichkeit des Sandes hat schon vor Tausenden von Jahren fasziniert. Jüngst wurde sie auch von William Stewart auf­gegriffen. Der Elfjäh­rige zählte für einen Kinderwissen­schaftskongress in den USA die Körner eines Kubikzentimeters Sand an seinem Heimatstrand und kam auf 27'000.

Angesichts dieses Ergebnisses wäre es vermessen zu behaupten, dass meine Erinnerungen mit der Zahl der Sandkörner am Meer mithalten könnten. Drei biblische Reiseerlebnisse sind mir jedoch sehr gegenwärtig. Etwa, wie ich mich dem Rummel am Jordan, wo Johannes der Täufer Jesus getauft haben soll, entzog und in das steinig-sandige Ödland hinauslief. Dort tauchten innere Bil­der von der Versuchung Jesu in der Wüs­te auf. Jesus war mir dort deutlich näher als am biblischen Touristen-Hotspot.

Bibel, Sand und Wüste – diesem Dreiklang begegnete ich auch in der Sahara. Nach einer langen Tour durch Sanddünen kamen wir in eine Savannenlandschaft und setzten uns in der Mittagshitze unter einen Baum. Passend zum schattigen Plätzchen, erzählte ich meinem Freund, der von der Bibel wenig wusste, die Geschichte vom Prophe­ten Jonas und dem schatten­spendenden Rhizinusbaum, den Gott wachsen und sogleich wie­der vertrocknen liess.

Der moderne Wüstenvater

Einen Baumeister-Künstler der besonderen Art traf ich in Kalifornien in der Nähe der mexikanischen Grenze. Er modellierte biblische Motive aus einem Gemisch von Zement und Wüstensand und bemalte die wimmelnde Figurenwelt in grellbunten Farben. Längst hatte er den Garten Eden erbaut, die Arche Noah stand auch schon auf einer Düne. Gerade gestaltete er den Auszug der Israeliten aus Ägypten, den Wüstenma­rathon, der 40 Jahre dauerte. Tage zuvor aber hatte Starkregen einen Sandrutsch im Paradies ausgelöst. Der Eremit machte sich unver­drossen an die Reparatur.

Ein wenig erinnerte mich die Szene an den Bau meiner Sandwälle gegen die Flut. Eine Beschäftigung, die immer wieder neuen Einsatz erfordert. Dieses jeder Logik unserer effizienzgesteuerten Ar­beits­gesellschaft widersprechen­de Tun hatte sich dieser mo­derne Wüs­tenvater in seinem verrosteten Wohn­­wagen zum Lebensprogramm gemacht. Es erinnert an die Passage in der Bergpredigt über die Vögel, die keine Vorräte an­le­gen und doch unbekümmert unter Gottes Schutz leben.