Risiken sind teuer. Die Prämien, welche Schweizerinnen und Schweizerim Durchschnitt ausgeben, um Haus, Auto, Möbel, Reisen und anderes zu versichern, steigen jährlich. Zurzeit sind es rund 7300 Franken – und darin sind Krankenkasse, Lebensversicherung und Altersvorsorge noch nicht berücksichtigt. Die Schweiz steht nach den Cayman-Inseln weltweit auf Platz zwei der Versicherungsfreudigen. Sind die Schweizer also besonders sensibel gegenüber Risiken?
David Schaffner von der Zurich Versicherung hat eine einfache Erklärung. Wer viel besitzt, hat viel zu versichern. Die Schweiz gehöre zu den Ländern mit den höchsten durchschnittlichen Vermögen pro Person. «Ihr Vermögen und ihren Besitz möchten die Menschen hier möglichst gut absichern», sagt der Versicherungsfachmann. Gewisse Prämien seien zudem obligatorisch.
Hochwasser und Cyberkrieg
Ein Risiko, das zuletzt hohe Kosten verursacht hat, ist das Hochwasser. Die Zurich Versicherung hat daher ein Online-Tool entwickelt, auf dem man nachschauen kann, welche Naturgefahren das eigene Haus bedrohen: Hochwasser, Hangmuren, Lawinen, Rutschung. Das Angebot werde rege genutzt, sagt Schaffner.
Naturgefahren beschäftigen derzeit auch den Bund stark. Soeben hat das Bundesamt für Umwelt einen Bericht veröffentlicht, in dem es festhält, dass «der Klimawandel für die Schweiz deutlich mehr Risiken als Chancen birgt». Und vor drei Jahren wurde am World Economic Forum eine Studie präsentiert, welche den Klimawandel als eines der grössten Risiken weltweit nennt. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich, Arbeitslosikeit, Wasserknappheit und Cyberattacken gehören dazu. Diese Gefahren würden nicht nur am meisten Menschen bedrohen, sondern auch am wahrscheinlichsten eintreffen.
Tatsächlich aber ist das Individuum in den entwickelten Ländern heute besser denn je gegen Risiken gewappnet. Hier gibt es keine Hungersnöte mehr und kaum noch grosse Naturkatastrophen, die Lebenserwartung steigt. Die Methoden, Risiken zu berechnen, werden immer ausgeklügelter, Schutzmassnahmen immer ausgefeilter. Trotzdem lassen sich nie alle Risiken tilgen. Der Mensch wäre überfordert, wenn er ständig die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefahr eintritt, berücksichten würde.
«Der Mensch kann nicht alle Risiken beachten», sagt Michael Siegrist. Er ist Professor am Departement für Gesundheitswissen und Technologie der ETH Zürich und hat zahlreiche Projekte zur Risikowahrnehmung geleitet. Gewisse Risiken schätze der Mensch unbewusst besser ein, da er schon als Kleinkind dafür sensibilisiert werde, etwa nicht auf den Fenstersims im dritten Stock zu klettern.
Andere Risiken, für die es viele Sensibilisierungskampagnen gibt, würden eingegangen, weil der Nutzen stärker im Vordergrund stehe als die Gefahr, sagt Siegrist und nennt das Rauchen: «Niemand raucht eine Zigarette aus Spass am Risiko, sondern weil er sich einen Moment des Genusses oder der Entspannung erhofft.» Der staatlichen Prävention stehen freilich millionenschwere Werbekampagnen gegenüber, die dem Raucher Freiheit und Coolness versprechen. Hinzu kommt die Sucht, die den Blick für das Risiko ohnehin vernebelt.
Die Welt kennenlernen
Gemäss Michael Siegrist macht der Mensch eher Risikoabwägungen bei einmaligen Entscheidungen, etwa bei der Frage, ob man die Kinder impfen lassen oder die Arbeitsstelle wechseln sollte. Nicht aber bei Handlungen, die sich ständig wiederholen und wo der Mensch das Gefühl hat, die Kontrolle zu haben: «Obwohl viel mehr Menschen im Strassenverkehr sterben als im Flugzeug, steigen wir mit sicherem Gefühl ins Auto, während viele ungern fliegen. Und es käme niemandem in den Sinn, Treppen zu vermeiden, obwohl sehr viele Menschen auf Treppen verunfallen.»
Wie risikofreudig ein Mensch sei, hängt von vielen Faktoren ab: Erfahrung, Wissen, Affekte, Vertrauen, Erziehung. Männer gehen generell mehr Risiken ein als Frauen, doch es gibt individuell grosse Unterschiede. «Ein Risiko eingehen bedeutet letztlich, Grenzen zu testen, die Welt kennen zu lernen», sagt Siegrist. In der Teenagerphase sei die Lust am Risiko ein selbstverständlicher Entwicklungsschritt. Es wäre also unmenschlich, Risiken vollständig zu reduzieren. Und schliesslich brummt die für die Volkswirtschaft wichtige Versicherungsbranche ja nur, weil es sie gibt, die Risiken.