«Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?» fragte Theologe Rudolf Bultmann 1925. Wer sinnvoll von Gott reden will, schrieb Bultmann, müsse von sich selber reden. Denn Gott lässt sich sinnvoll nur denken als Wirklichkeit, welche meine Existenz bestimmt. Zugleich aber müsse in diesem Reden über meine Existenz Gott als «der ganz Andere» vorkommen. Denn sonst hielte ich ein Selbstgespräch mit mir, und würde nicht von Gott reden.
Gott ist ganz anders
Bultmann umschreibt mit diesen Worten die protestantische DNA,den Kern des reformierten Glaubens. Protestantisch sind dabei zwei Annahmen. Erstens: Glauben ist der Akt eines Einzelnen. Keine Kirche, kein Ritual, kein Geistlicherkann einem Menschen den eigenen Glauben abnehmen.
Und: Gott bleibt unverfügbar, er ist der ganz Andere. Ein Mensch kann Gott zu nichts manipulieren. Weder mit Ablassbriefen wie vor 500 Jahren noch mit heutigem Wohlverhalten, mit linker oder rechter Ethik, mit asketischem Lebenswandel. Vom Glauben zu reden heisst, vom eigenen Leben zu reden und sich zugleich auf eine Wirklichkeit hin zu orientieren, von der wir kein Wissen haben. Eine solche Glaubenshaltung ist nicht ohne Risiko. Schliesslich will, wer glaubt, auch Sicherheiten dafür haben. Einfach ins Nichts hinein zu glauben, dass da ein Gott ist, der es gut mit mir meint, das klingt mehr als leichtfertig. Erlauben wir uns deshalb zum Schluss dieses Dossiers über das Risiko eine Abwägung: Wie hoch ist das Risiko, das man eingeht, wenn man glaubt?
Die Sehnsucht nach Sinn
Auf der einen Seite der Abwägung steht mein Leben, meine Existenz. Sie enthält grosse, möglicherweise unbeantwortbare Fragen. Der Theologe Jörg Lauster formulierte sie so: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wozu bin ich auf der Welt? Wie führe ich ein gutes Leben? Wie gehe ich mit Schicksal um? Wie mit meiner Freiheit? Hinter diesen Fragen steht der Wunsch, dass sie nicht unbeantwortet bleiben sollen. Meine Existenz, so der Wunsch, möge einen Sinn haben. Sie soll sinnvoll sein, zumindest für mich, idealerweise auch für andere.
Auf der anderen Seite der Abwägung steht der Unglaube: Was, wenn ich meine Zuversicht im Leben und Sterben auf eine Annahme gründe, die nicht wahr ist? Rein mathematisch ist die Chance, dass es Gott gibt, fünfzig zu fünfzig. Weder kann ich seine Existenz noch seine Nichtexistenz beweisen. Würde ich ein Flugzeug besteigen, das mit fünfzig zu fünfzig Chance ankommt? Wer glaubt, geht also ein hohes Risiko ein. Mein Wunsch nach Sinn nimmt eine hohe Wahrscheinlichkeit des Irrtums in Kauf. Warum tut man sich das an?
Es liesse sich zunächst fragen: Sind Menschen, die ein hohes Risiko eingehen, tatsächlich leichtfertig? Viele Extremsportler berichten, dass sie sich nie so lebendig gefühlt hätten als in jenen Momenten, in denen es für sie um alles oder nichts ging. Andere reisen in ferne Länder oder innere Welten, um die eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen und sich neu wiederzufinden. Wer riskant lebt, der kann viel für sein Leben erhalten.
Aber nicht jeder Mensch ist Extremsportler oder Weltreisender. In der Regel lieben wir das Risiko, solange es das Risiko der anderen ist. Wir schauen Krimis und verfolgen den politischen Alltag, sind interessiert an Dramen allerorten. Aber es sind nicht meine eigenen Dramen, sondern jene von Fremden.
Nicht Zuschauer bleiben
Übertragen wir diese Haltung auf den Glauben und fragen: Kann man als Zuschauer glauben? Kann ich anderen Menschen den Glaubensakt überlassen? Dem Dalai Lama vielleicht oder anderen besonders frommen Menschen? Kann ich selber in sicherer Distanz bleiben?
In der Theologie Rudolf Bultmanns ist das so nicht vorgesehen. Dem Glauben oder Unglauben geht eine Entscheidung voraus. Eine Entscheidung, die mir niemand abnehmen kann, so wenig, wie mir jemand mein Leben abnehmen kann. Wer im Glauben oder aus dem Glauben lebt, wird den grossen Fragen der Existenz gelassen entgegenschauen. Aber das Risko, das in dieser Haltung steckt, kann einem keiner abnehmen.