Die erste Fashionschau im Grossmünster zog Hunderte von Modebegeisterten an. Sie haben den Event auf Initiative des Designers Adam El Sahmi ermöglicht und mitgestaltet. Wie war das Feedback auf die Premiere im Grossmünster?
Christoph Sigrist: Von dem, was ich gehört habe, durchaus positiv. Designer und Models sind zu mir gekommen, sie waren sichtlich gerührt und haben sich innig bedankt, dass ich ihnen den Kirchenraum zur Verfügung gestellt habe. Für mich lässt das tief blicken: Anscheinend sind bestimmte Gruppen der Meinung, dass ihnen Kirchenräume verschlossen bleiben. Insofern gibt es eine Reibung zwischen diesen Bevölkerungsgruppen und dem Verhalten der institutionellen Kirche. Das ist bedenklich. Ich nehme das mit als einen der Hauptimpulse aus dem Event.
Inwiefern bedenklich und welche Gruppen meinen Sie konkret?
Es gibt zahlreiche solche Gruppen, seien es nun Leute aus der Modewelt oder als ganz anderes Beispiel Bewohner der «Herberge zur Heimat» in der Zürcher Altstadt. Letztere sagen, wir kommen sicher nicht in die Kirche, da gehören wir nicht hin. Dieses Narrativ, «ich gehöre da nicht dazu», ist für mich überraschend aufgepoppt am Samstagabend. Es stimmt mich nachdenklich, denn die Kirche soll Gastgeberin sein im Bewusstsein, dass der Kirchenraum nicht der Institution gehört, sondern der Stadtöffentlichkeit. Am Samstagabend kamen viele, die mir explizit gesagt haben, dass sie Atheisten seien. Aber sie waren sehr berührt von der Atmosphäre und den Psalmen, die ich für den Abend vorbereitet hatte. Sie nahmen diese als Fremdblick wahr, der sie zum Nachdenken brachte.
Sie sprechen die Psalmen an, in denen Sie die Gemeinsamkeiten von Mode und Kirche, von Text und Textil auf poetische Art und Weise herausgearbeitet haben. Was wollten Sie mit diesen liturgischen Elementen aussagen?
Mir war wichtig, dass die Leute, die in der Fashionwelt daheim sind, den Kirchenraum bewusst wahrnehmen. Denn da passierte etwas mit ihren Kleidern, die Psalmen sollten sozusagen die Spiritualität des Stoffes offenbaren. Es ist immer eine Gratwanderung in einem Pfarramt an einer Citykirche: Hält man sich ganz raus, lässt die Leute einfach gewähren, besteht die Gefahr, dass sie sich wenig öffnen gegenüber dem Spirituellen. Sagt man zu viel, wirkt das vielleicht kirchlich vereinnahmend. Mein Anspruch war es, die Saiten, die mit der Präsentation der Mode in Schwingung kamen, mit einer liturgischen Sprache zu ergänzen. Ich habe den Zeitpunkt der Modeschau verbunden mit dem, was vorreformatorisch im Kirchenraum passierte: Mit der Vesper. Inspiriert hat mich dabei der Sonnengesang von Franziskus von Assis, den ich neu designt habe.
Die Mode war ja zum Teil recht schrill und divers. Es gab auch einige Models, die äusserst leichtbekleidet waren, was gefühlt im Kontrast zum zwinglianischen Geist des Grossmünsters steht. Wurde das von einigen traditionellen Kirchgängerinnen und Kirchgängern nicht als Provokation empfunden?
Die waren ja gar nicht da. Ausser ein paar Personen aus der Kirchenkreiskommission, die reagierten positiv, von ihnen kamen spannende Rückfragen. Im Prinzip zeigt sich da das Problem: Wir haben Parallelgesellschaften innerhalb der Institution. Wenn gewisse Konfirmanden am Sonntag in den Gottesdienst kommen, erleben sie Ähnliches wie eine traditionelle Kirchengängerin an der Modeschau. Beide verstehen die jeweilige Sprache nicht. Für den 15-Jährigen ist es schwierig, eine Viertelstunde ohne Handy zuzuhören, mit der Gebetssprache kann er nichts anfangen, da zu Hause nicht mehr gebetet wird. Umgekehrt muss sich die Kirchgängerin auf die Modeschau einlassen können, die mit ihren Anblicken die diverse urbane Öffentlichkeit repräsentiert.