Eine starke Frau in den Wirren der Reformation

Buch

Nun geben neu gefundene Dokumente gebn ein vollständigeres Bild über Katharina von Zimmern

Was für eine geheimnisvolle Frau! Erst in den letzten Jahrzehnten ist man wieder auf ihr Schicksal aufmerksam geworden: Katharina von Zimmern, zur Zeit der Reformation Äbtissin des Zürcher Fraumünsterstifts. Im Film «Zwingli» hat sie ihren Auftritt als vornehme Frau, die ihre Abtei dem Rat von Zürich übergibt. Mit dieser Tat leistete sie einen wichtigen Beitrag zur Reformation in Zürich.

Herrin im Fraumünsterstift
Katharina hatte 1491 als Dreizehnjährige im Fraumünsterstift Unterkunft gefunden, zusammen mit ihrer Schwester Anna. Dort lebten keine Nonnen im üblichen Sinn, sondern unverheiratete Töchter aus adeligen Familien. Mit 18 Jahren wurde Katharina Äbtissin, sie verwaltete das Fraumünster mit Geschick und Stil, war aber die einzige Bewohnerin des Stifts, als sie es 1524 dem Rat von Zürich übergab – und dafür eine hohe Leibrente erhielt. Kurz darauf heiratete sie den Söldnerführer Eberhard von Reischach, der damals in Zürich in Ungnade gefallen war, und hatte mit ihm zwei Kinder. Wie hat diese Frau das alles erlebt? Konnte sie eigene Entscheidungen fällen? War sie überzeugt von den Werten der Reformation? Und war ihre Beziehung zu Reischach eine Liebesgeschichte?

Neue Quellen
Katharinas Leben ist Stoff für einen Roman. Das fanden die Frauen, die vor 20 Jahren Katharina «wiederentdeckt», ein Sachbuch über sie veröffentlicht und den «Verein Katharina von Zimmern» gegründet hatten. Sie schauten sich nach einer Autorin um und wandten sich schliesslich an die Historikerin Christine Christ-von Wedel, die bereits über mehrere Schweizer Persönlichkeiten der Reformationsgeschichte publiziert hat.
Eine Arbeitsgruppe bildete sich: Irene Gysel, die Autorin des ersten Katharina-Buches, und die Vereinspräsidentin Jeanne Pestalozzi suchten in Archiven aller Art nach neuen Quellen. Die Handschriften-konservatorin Marlis Stähli transkibierte die Schriften, die nun Christine Christ für ihre wissenschaftliche Arbeit zur Verfügung standen – am Ende über tausend Dokumente. «Es war faszinierend: Alles fügte sich zu einem neuen Bild zusammen», sagt Irene Gysel.  Aber: Es war nicht Stoff für einen Roman, der wohl leichter zu schreiben und sicher leichter zu lesen gewesen wäre. Diese Quellen verlangten nach einer wissenschaftlichen Aufarbeitung.

Politische Netzwerke
Das Buch, das entstanden ist, stellt Zusammenhänge her, die weit über die Entwicklungen in Zürich hinausgehen. Thesen zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden mit Dokumenten untermauert, die Interessen der Konfliktparteien zur Zeit der Reformation einander gegenübergestellt. Zürich und sein Reformator erweisen sich nicht als strahlende Heilsbringer, sondern als gewiefte Machtmenschen, verstrickt in ein kompliziertes politisches Netzwerk. Einige Fragen bleiben offen: Welche Rolle spielten politische Konstellationen bei den Umwälzungen, die die Reformation mit sich brachte? Welche die persönliche Interessen der Beteiligten? Wo ging es um Glauben, wo um Macht? Wo war Zufall, wo eine unaufhaltbare gesellschaftliche Dynamik im Spiel?

Keine Gewissheiten
«Dass die geheimnisvolle Regula Schwarz, die in verschiedenen Dokumenten auftaucht, die uneheliche Tochter von Katharina war, ist jetzt fast sicher», stellt Irene Gysel fest. Aber es bleibt ungewiss, ob Katharina dem Zürcher Rat aus Glaubensgründen, aus politischem Verstand oder aus Liebe zu ihrem Söldnerführer das Stift überliess. Wahrscheinlich spielte alles mit. Die Erfahrung zeigt ja, dass es für alles, was geschieht, unterschiedliche Gründe und Erklärungen gibt. So trägt dieses Buch auch dazu bei, die Ereignisse der Reformation differenziert und fair zu beurteilen.

Christine Christ-von Wedel: Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter. TVZ, 2019, 360 Seiten, Fr. 38.–