Intimer Einblick ins Fotoalbum der Familie Bergoglio

Papst

Franziskus wagt, was vor ihm noch kein Papst getan hat: seine Autobiografie veröffentlichen. Das Buch ist ein Appell an die Leser zu hoffen und so selbst zur Hoffnung zu werden. 

Sechs Jahre lang hat er daran geschrieben, nun kam sein Buch «Hoffe» am 14. Januar weltweit und in 80 Sprachen in die Buchläden. Franziskus’ Lebenserinnerungen sind eine Mischung aus Familiengeschichte – intime Einblicken ins private Fotoalbum inklusive – sehr persönlichen Anekdoten, recht düsterer Analyse der Weltlage und praktischer Lebensphilosophie auf christlichem Fundament.

Das alles kommt nicht ohne Redundanzen und Überlängen daher, strapaziert zuweilen etwas die Geduld. So dauert es geschlagene 62 Seiten, bis der kleine Jorge Mario endlich zur Welt kommt: am 17. Dezember 1936, getauft wird er am Weihnachtstag. «Daher ist Weihnachten für mich immer ein doppeltes Fest ... Es ist quasi ein zweiter Geburtstag. Der Tag, der uns in unserem irdischen wie im ewigen Leben Wurzeln verleiht.» 

Weltbürger von nebenan

Die Seiten davor handeln von Auswandererschiffen, die im Atlantik versinken – und der göttlichen Vorsehung, die seine Grosseltern davon verschonte, auf einem solchen mitzufahren, entgegen dem ursprünglichen Plan; «ich konnte geboren werden, weil meine Grosseltern die Principessa Mafalda nicht nahmen.»

Die eigentliche Botschaft dahinter ist klar und glaubwürdig: Auch ich bin ein Migrantenkind, ein Mensch unter Menschen, aufgewachsen als kleiner Italiener, als nudelessender «Tano» (von Napoletano), wie einer der vielen nicht immer nur freundlichen Übernamen lautete, wleche die Argentinier den vielen Zuwanderern vom Stiefel gaben. 

Das Leben als grosse Reise

In den Strassen von Buenos Aires rannte «Giorgio» mit anderen frechen Jungs einem Fussball aus Lappen hinterher, Geld für ein rundes Leder besass niemand. Im Stadtteil Flores gehörten zu seinen Nachbarn auch jüdische und muslimische Kinder, deren Eltern aus Odessa, aus Syrien oder aus dem Libanon geflüchtet waren. 

Die Botschaft: Der Argentinier im Vatikan ist eigentlich Italiener, ja Weltbürger. Der Papst gibt sich ganz hemdsärmelig und volksnah und tut das, was gute Autobiografien tun: Er fragt sich, was ihn zu dem gemacht hat, was er ist. Nicht als Oberhaupt einer weltweiten Kirche, sondern als alter Mann, der eine weite Reise hinter sich hat. Seine verschriftlichte Lebenserzählung bezeichnet er als seine «Reisetasche».

Papst Franziskus – ein Einwandererkind

Papst Franziskus – ein Einwandererkind

Jorge Mario Bergoglio kam am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires Argentinien, als Sohn italienischer Einwanderer zur Welt. Er ist der Erstgeborene von fünf Geschwistern, die im bekannten Stadtteil Flores lebten. Zuerst erlernte er den Beruf des Chemietechnikers, erwarb dann 1963 einen Abschluss in Philosophie, bevor er 1969 zum Priester geweiht wurde. 1973 machte man ihn zum Provinzoberen der Jesuiten in Argentinien. 1992 wurde er Weihbischof, 1998 Erzbischof von Buenos Aires. Johannes Paul II. ernannte ihn 2001 zum Kardinal. Seit dem 13. März 2013 ist er Bischof von Rom und damit der 266. Papst in der Geschichte der katholischen Kirche. 2025, im zwölften Jahr seines Pontifikats, hat er ein neues Heiliges Jahr ausgerufen unter dem Motto »Pilger der Hoffnung«.

Edith Piaf und Mozart

Immer wieder erfährt man auch Persönliches, Weltliches: von seiner Liebe für Edith Piaf etwa oder den Tango, er schwärmt von Mozarts Et Incarnatus est aus der c-Moll-Messe und von der Lebensschule, die in Fellinis Filmen steckt. Und als Junge war der heutige Kirchenlenker ein Fan von Superman. Der Papst holt sich gewissermassen selbst von der göttlichen Wolke des Stellvertreters Christi, gibt sich als Normalo, einer von uns. 

Das Menschengeschlecht sieht er als einzige Familie. Immer wieder zieht er aber auch Kain und Abel heran, prangert den allseits sichtbaren Brudermord an und betrauert die vielen zivilen Opfer heutiger Kriege. «Krieg ist Wahnsinn.» Es sei eine Gotteslästerung, Gottes Namen zu benutzen, um Mord, Terrorismus und Unterdrückung zu rechtfertigen. «Es gibt keinen Kriegsgott: Wer Krieg führt, ist böse. Gott ist Frieden.» 

Der Käfig der Ängste

Franziskus sieht sich «als Pilger des Friedens», eine Erzählung, von einem «Pilgerweg des Hoffens» zu schreiben, sei seine Absicht. Und so giesst der studierte Philosoph seine Lebensweisheit gegen Ende in die Formel «Das Leben ist die Kunst der Begegnung»; wir alle sollten aus uns heraustreten und zu Pilgern werden, das Augenmerk auf die menschlichen Begegnungen richten, auf das gemeinsame Gehen. Dann hätten auch Zwiste und Differenzen Platz, seien überwindbar. 

Die Hoffnung vergiften würden «Hass, Spaltung und Rache». Der «Käfig der Ängste» halte viele Menschen heutzutage davon ab, an eine glückliche Zukunft zu glauben. Und diese Ängste seien es, welche Gleichgültigkeit und Gewalt Tür und Tor öffneten und in die Diktatur führten.  

Das Prinzip Hoffnung als Programm

Darum gelte es diesen Ängsten Hoffnung entgegenzuhalten, ja der Papst ruft dazu auf, an einem Wir der Hoffnung zu bauen: «Es genügt schon ein Mann oder eine Frau, um die Hoffnung neu zu beleben. Und dieser Mann oder diese Frau kannst du sein. Denn dann wird es ein weiteres Du geben und noch eines und noch eines, bis daraus ein Wir wird.»

«Am Ende unserer Tage wird man uns nicht fragen, ob wir gläubig, sondern ob wir glaubwürdig waren», schreibt Franziskus im letzten Kapitel. Dieses Buch macht den Papst glaubwürdiger – als Mensch, nicht als Herrscher einer absolutistischen Institution, die auch unter seiner Führerschaft wenig unternommen hat, um längst überfällige Reformen umzusetzen. Ob die zusätzlichen 21 Kardinäle, die Franziskus im Dezember 2024 ernannt hat, neuen Drive in Richtung Mut zur Veränderung bringen und damit neue Hoffnung, bleibt abzuwarten. 

Franziskus: Hoffe. Die Autobiografie. Kösel, 2025, 384 Seiten

Franziskus und die nötigen Veränderungen der Kirche: «Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.»

Franziskus und die nötigen Veränderungen der Kirche: «Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.»

Der Papst redet in seiner Autobiografie den Bedeutungsverlust des Christentums keineswegs schön; er sieht die Kirche mit einem  Übergang von einem «systemrelevanten» zu einem «Minderheiten-Christentum» konfrontiert. Das erfordere Mut zur Veränderung und entsprechend vehement fallen die Appelle an seine Gefolgschaft aus: «Erstarrung ist Sektierertum» heisst es da, man müsse «raus aus der Komfortzone», «aus der Starre heraustreten». Der Autor nutzt gern plakative Metaphern, gleich mehrmals lautet sein Aufruf: «Brücken bauen statt Mauern» – ganz wie es sich für einen Ponti-fex (Brückenmacher) gehört.

In der Geschichte der Kirche sieht sich der Friedenspilger und Armenpapst selbst als «nur einen Schritt». In seinem Selbstverständnis ist er viel mehr «Diener der Diener Gottes» und «Bischof von Rom», nicht Stellvertreter Christi auf Erden. Und er sieht es offenbar als wichtigen Dienst an seinen Dienern, ihnen in Sachen Mut zum Wandel ins Gewissen zu reden. Einiges ist durchaus auch als Wink an die Kritiker und Gegner in den eigenen Reihen zu verstehen.

Die Kirche müsse kreativer werden, schreibt er beispielsweise, müsse die Herausforderungen der Zeit verstehen und an ihnen wachsen. «Sie muss sich dem Dialog öffnen, statt sich in der Angst zu verschliessen. Eine verschlossene, ängstliche Kirche ist eine tote Kirche.» Eines seiner Lieblingszitate lautet: «Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.» Er sieht das Heil nicht im Bruch mit dem Überlieferten, sondern das Tradierte garantiert für ihn auch die Zukunft. 

So wünscht er sich für das Papsttum künftig wieder eine Rolle «wie im ersten Jahrtausend». Der Weg in die Zukunft scheint für ihn also im «Back to the Roots» zu liegen – und so ist in Franziskus' Lebensbilanz leider auch nicht wirklich ein visionärer Ausweg aus der alten Erstarrung der katholischen Kirche zwischen Althergebrachtem und Notwendigkeit zur Modernisierung erkennbar.

Trotzdem kratzt der Papst am alten Selbstverständnis dogmatischer, katholischer Glaubenshierarchien, wenn er sagt, der Glaube brauche «weder Kontrolleure, noch Aufseher oder Wärter». Wer «Hoffe» liest, erhält den Eindruck, dass Franziskus trotz allem davon überzeugt ist, dass ein Wandel nötig ist – dass dieser still und leise vonstatten gehen könnte, scheint er dabei nicht zu erwarten: «Wir müssen Vertrauen haben in den heiligen Geist, der Motor und Führung der Kirche ist und immer Lärm macht.»