Recherche 28. Februar 2020, von Felix Reich

Mit zwei Männern in Weiss hat der Vatikan ein Problem

Religion

Joseph Ratzinger interveniert in heiklen Momenten, statt wie versprochen zu schweigen. Die Attacken gehen nicht spurlos an Papst Franziskus vorüber. Er enttäuscht die Reformer.

Er werde schweigen und beten, versprach Papst Benedikt XVI., als er 2013 zurücktrat. Aber lange hielt Joseph Ratzinger nicht durch. Wiederholt meldete er sich zu Wort. Zuletzt verteidigte er im Buch «Aus der Tiefe des Herzens» des Kardinals Robert Sarah den Zölibat. Nur wenige Wochen, bevor Franziskus den Forderungskatalog der Amazonas-Synode beantwortete.

Marco Politi bezeichnet die Publikation schlicht als Skandal: «Sie war eine Intervention in einen Regierungsakt des Nachfolgers.» Der Journalist schrieb lange für italienische Tageszeitungen über den Vatikan und veröffentlichte zuletzt das Buch «Das Franziskus-Komplott».

Bewusste Intervention

Dass Ratzinger sogleich ausrichten liess, er habe Sarah nur den Aufsatz ausgehändigt, von dem Buch aber nichts gewusst, hält Politi für wenig glaubwürdig. «Sarah ist ein anständiger Mensch, er würde Ratzinger niemals hintergehen.» Welche Auswirkungen die Intervention hatte, ist ungewiss.

Den Bruch mit dem Vorgänger riskierte Franziskus jedenfalls nicht. Am 12. Februar antwortete er auf die Synode und enttäuschte viele Reformer. Sie hatten gehofft, dass sich der Papst hinter die Forderungen stellt, welche die Bischöfe aus dem Amazonas-Gebiet im Oktober gestellt hatten. So wollten sie auch verheiratete Diakone zu Priestern weihen dürfen.

Versteckte Botschaften

Vom Zölibat schreibt der Papst keine Zeile. Kirchenhistoriker Hubert Wolf, der an der Universität Münster lehrt, sagt: «Stattdessen zeichnet Franziskus ein überhöhtes Priesterbild, das auf das 19. Jahrhundert zurückgeht und sogar noch hinter den Aussagen von Johannes Paul II. zurückbleibt.» Da scheine Franziskus den Konservativen «zu geben, was sie hören wollen».

Einen konservativen Kurs hält Franziskus auch, wenn er über die Frauen schreibt. Sie leisteten ­ihren Beitrag, «indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben». Dass jenen Frauen, die nach der Weihe streben, Klerikalismus unterstellt wird, ist für Wolf «zynisch». Der Theologe geht davon aus, dass die Priesterweihe für Frauen damit vom Tisch ist. Auch Diakoninnen werde es unter dem jetzigen Papst kaum geben.

Die Spitze des Eisbergs

Politi vermutet, dass Franziskus die Forderungen wollte. «Doch der Protest im Vatikan war zu stark.» Ratzingers Intervention sei nur die berühmte Spitze des Eisbergs.

Um zu erkennen, wo Franziskus auf die Reformer zugeht, braucht es die Lupe des Insiders. Wolf weist darauf hin, dass der Papst mit seinem Schreiben die Beschlüsse der Amazonas-Synode bloss ergänzt. «Indem er die Verantwortung den Hirten vor Ort überträgt, versucht er, der Kritik der Konservativen in Rom auszuweichen», betont Wolf.

Franziskus komme ihm vor wie jemand, der eine Lunte auslege, ohne sie anzuzünden, sagt auch der Schweizer Kapuziner Willi An­derau. «Doch was passiert, wenn ein anderer sie anzündet?» Die Zurückhaltung des Papstes erklärt sich Wolf mit der Verantwortung für die Einheit der Kirche. «Zumal er mit heftigen Attacken aus dem reaktionären Lager, das sich angeblich auf Joseph Ratzinger stützt, konfrontiert ist.» Wolf bezweifelt aber, «dass sich Franziskus mit seinem Lavieren einen Gefallen tut».

Erster Rücktritt seit 1294

Politi hat mehr Verständnis. «Nie gab es in der Hierarchie eine so starke Opposition gegen einen Papst.» Hinzu kommen Querschüsse Ratzingers, der sich so als Projektionsfläche für Franziskus-Gegner anbietet. «Zum Schattenpapst taugt er trotzdem nicht», erklärt die Zürcher Geschichtsprofessorin Claudia Zey. Dafür sei der 1927 geborene Deutsche zu alt. «Zudem war seine Rücktrittserklärung sehr klar.»

Ein Vorbild für den Papst ausser Dienst gibt es in der Kirchengeschichte: Colestin V. Freilich war Ende 1294 noch keine vier Monate im Amt, als er abdankte. Und bis Rom hatte er es nie geschafft, er regierte die Weltkirche von einer für ihn gezimmerten Mönchsklause in Neapel aus. Der Nachfolger Bonifatius VIII. steckte ihn in Klosterhaft.

Franziskus müsste sich trauen

Bonifatius wusste offenbar, was für Zey noch heute gilt: «Zwei Männer in Weiss sind mit dem Papsttum nicht kompatibel.» Franziskus habe Ratzinger ermuntert, weiterhin zu reisen und Besucher zu empfangen, sagt Vatikan-Kenner Politi. Er wollte keinen Konflikt riskieren.

Für Wolf hingegen ist die klare Führung «die historische Stärke des Katholizismus». Für Rücktritte brauche es klare Regeln: Schweigekloster statt Wallfahrtstourismus wie jetzt, da Ratzinger täglich bis zu 30 Besucher empfange. Wolf sieht Franziskus in der Pflicht: «Sein Amt verleiht ihm die Autorität, den Vorgänger von der Öffentlichkeit abzuschotten.» Aber er müsste halt gewillt sein, sie zu nutzen.