«Reformen sind dringend nötig»

Kirche

Die Zürcher Katholiken schlagen Alarm. Sie fordern vom Papst tiefgreifende Reformen. Generalvikar Josef Annen trägt die Forderungen mit.

Warum war jetzt die Zeit für einen offenen Brief an Papst Franziskus?

Josef Annen: Die römisch-katholische Kirche ist eine Weltkirche. In vielen Ländern produziert sie Schreckensmeldungen, diese überrollen jedes Mal auch die Schweiz, obwohl wir seit dem Jahr 2000, nach Bekanntwerden einer Welle von sexuellen Missbräuchen, ein gutes Krisenmanagement und Schutzkonzept aufgebaut haben. Wir versuchen, unsere Hausaufgaben zu machen, doch das allein nützt nichts. Viele Skandale sind ausserhalb der Schweiz, doch bei jedem treten auch Mitglieder in der Schweiz aus. Letztes Jahr war die Anzahl Austritte sehr hoch.

Anlass für Selbstkritik sehen Sie nicht?

Wir wollen uns nichts vormachen. Wir haben nicht alles im Griff. Der Seelsorgeberuf ist ein Risikoberuf. Verfehlungen können immer wieder vorkommen. Aber dann gilt es, den Opfern beizustehen und die nötigen Massnahmen umzusetzen, statt die Institution zu schützen.

Letzten November traten auch prominente Katholikinnen wie Monika Stocker und Cécile Bühlmann aus. Ist das Fass am Überlaufen?

Es herrscht bei sehr vielen eine grosse Müdigkeit. Die kirchlich Engagierten und die Seelsorger müssen ständig die Folgen von negativen Geschichten auslöffeln, obwohl sie nichts damit zu tun haben. Unser Brief richtet sich auch an sie. Sie sollen spüren: Wir sind für sie da, wir sehen die grossen Probleme, und wir wollen etwas dagegen tun. 

Haben Sie im Vorfeld Koalitionen mit anderen gesucht?

Nein. Wir haben aus eigener Betroffenheit und eigenem Antrieb gehandelt.

Der Bischof Ihres Bistums, Vitus Huonder, ist weder für eine synodale Kirche noch für Frauen in Leitungsgremien. Als sein Stellvertreter lehnen Sie sich weit aus dem Fenster.

Es ist meine Aufgabe, für die Gläubigen und Seelsorger hinzustehen, wo es nötig ist und Reformen sind nun dringend nötig.

Denken Sie, dass Ihre Botschaft in Rom ankommt?

Papst Franziskus hat schon viele klare Worte gesprochen, auch der Haltung gegenüber Sexualität hat er eine neue, positive Richtung gegeben. Ebenso ist er für eine synodale Kirche. Das anerkennen wir im offenen Brief. Doch Worte genügen nicht, es braucht weltweite Richtlinien. Leider drehen die Mühlen des Vatikans langsam. Der Tenor nach Reformen ist rund um den Globus da, aber es braucht im Vatikan wohl erst eine neue Generation.

Josef Annen

Als Generalvikar ist Josef Annen der Stellvertreter des Bischofs von Chur für die Kantone Zürich und Glarus. Seit Februar 2010 ist er im Amt und trägt im Auftrag des Churer Bischofs insbesonders die Personalverantwortung für die kirchlichen Angestellten in den beiden Kantonen. Nach dem Studium in Theologie und Philosophie in Chur und Tübingen wurde Josef Annen 1973 zum Priester geweiht.

Was die Zürcher Katholiken fordern

«Die katholische Kirche steht in Flammen. Das Entsetzliche daran ist: Hirten, die zum Dienst am Evangelium bestellt wurden, haben diesen Flächenbrand gelegt.» Das schreiben Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding und Generalvikar Josef Annen in einem offenen Brief an Papst Franziskus. Sie fordern tiefgreifende Reformen in der katholischen Kirche. Die kirchliche Sexualmoral müsse sich «an der Liebesbotschaft des Evangeliums und an den heutigen Humanwissenschaften» orientieren. Zudem soll in der katholischen Kirchen in synodalen Prozessen regional entschieden werden dürfen, ob das Pflichtzölibat abgeschafft und Frauen zum Priesteramt zugelassen werden. Ohnehin müssten Frauen die Möglichkeit erhalten, in der Kirche Leitungsverantwortung zu übernehmen.