Wie viele Päpste gibt es: einen, eineinhalb oder zwei?
Marco Politi: Es gibt nur einen Papst. Aber es gibt die unbequeme Situation, dass mit Joseph Ratzinger ein zurückgetretener Papst weiterhin in Rom wohnt und noch immer in weiss auftritt.
Und er trägt den Titel Papst Emeritus. Das klingt, als sei er doch noch irgendwie Papst.
Der Titel ist ein Widerspruch. Es gibt emeritierte Professoren, aber keine emeritierten Päpste. In einem Interview hat Joseph Ratzinger einmal gesagt, er habe eigentlich vorgehabt, sich Bruder zu nennen. Doch offensichtlich hat ihn sein Umfeld davon überzeugt, am Papsttitel festzuhalten. Er orientierte sich dabei an Kirchen, in denen es emeritierte Patriarchen gibt. Das war kein Problem, solange sich Benedikt an sein Versprechen gehalten und geschwiegen hatte.
Beim stillen Gebet ist es nicht geblieben. Ratzinger hat publiziert, wie das emeritierte Professoren halt so machen.
Er blieb dennoch lange loyal und wies auch immer wieder Leute ab, die sich bei ihm über Franziskus beschwerten. Ratzinger war immer sehr korrekt. Auch im eigenen Interesse. Er wollte beweisen, dass ein zurückgetretener Papst keine Probleme verursacht. Das ist wichtig für die Zukunft der Kirche.
Weil die Päpste nicht jünger werden und sich Rücktritte häufen werden?
Davon ist auszugehen. Der Rücktritt war eine grosse Wende. Benedikt hat gesehen, wie Johannes Paul II. der Welt sein Martyrium zeigte, und wusste, dass das einmalig bleiben muss. Zudem war sein Vorgänger am Ende nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu treffen, weshalb sein Umfeld für ihn entschied. Das wollte Benedikt verhindern. Er handelte mutig, edel und klarsichtig.
Aber warum war er nicht edel genug, um sich ins Schweigekloster zurückzuziehen?
Es war Franziskus, der ihn ermunterte, sich nicht zu isolieren und weiterhin zu reisen und Leute zu empfangen.
War das klug?
Franziskus wollte keinen Konflikt. Er kann nicht von Liebe, Barmherzigkeit und dem Wert der Diskussion predigen und zugleich seinen Vorgänger kaltstellen.
Dann hätte er den konservativen Verschwörungstheorien, Benedikt sei zum Rücktritt gezwungen worden, Nahrung gegeben?
Tatsächlich reagierte ein Teil der Gläubigen geschockt auf den Rücktritt von Benedikt. Einen absolut freiwilligen Rücktritt hat es in der Kirchengeschichte noch nie gegeben. Franziskus handelte klug, dass er Benedikts Gefolgsleute nicht sofort entfernte.