«Die Ökumene lebt von der Liturgie», sagt Martin Hirzel am 21. Juni im Zug, der ihn von Genf zurück nach Bern bringt. Es geht gegen Mitternacht. Der Pfarrer ist beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund Beauftragter für Ökumene und Religionsgemeinschaften und hat fünf intensive Sitzungstage am Sitz des ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) sowie einen Papstbesuch hinter sich.
Im Rat sind 350 Kirchen vertreten, die insgesamt eine halbe Milliarde Christinnen und Christen vertreten. Die katholische Kirche gehört nicht dazu, arbeitet aber in einigen Kommissionen mit. Sie hat mehr als doppelt so viele Mitglieder als die dem ÖRK angeschlossenen Kirchen und bildet somit ein eigenes ökumenisches Kraftzentrum. Umso wichtiger ist für die Organisation der Papstbesuch in Genf.
Ein Meister der Quoten
Ihr von Hirzel gelobtes Gespür für die Ökumene der Liturgie beweist die kirchendiplomatische Organisation sogleich. Der hohe Besuch aus Rom fügt sich ganz selbstverständlich ein in das vielstimmige Gebet in der modernen und sehr stimmungsvollen Kapelle. Neben Franziskus sprechen die methodistische Bischöfin Mary Ann Swenson aus den USA oder der armenische Erzbischof Vicken Aykazian und die protestantische Pfarrerin Viktorie Kopecká aus Tschechien.
Frauen und Männer, jung und alt, Süden und Norden: Der ökumenische Rat ist ein Meister der Quoten. Auch die Lieder vom aramäischen Kyrie über das argentinische Santo bis zum australischen Spiritual atmen den Geist der weltumspannenden Dimension des Christentums. In seiner schlichten Feier-
lichkeit ist das Gebet ein eindrückliches Zeichen, wie der gemeinsam bezeugte Glaube dogmatische Grenzen überwinden kann. Denn natürlich sind die Gegensätze in Genf bereits gross genug, auch wenn die katholische Kirche mit ihrer eigenen Vorstellung von Einheit abseits steht. Häufig blockieren die orthodoxen Kirchen gesellschaftlich fortschrittliche Erklärungen beispielsweise in Genderfragen.
Neben der Theologie ist die Friedensarbeit ein wichtiges Standbein des 1948 als religiöses Pendant zu den Vereinten Nationen gegründeten Rats. Hirzel nennt als Beispiel die Bemühungen um einen Abbau der Spannungen zwischen Südkorea und dem kommunistischen Norden. In beiden Ländern gibt es verschiedene protestantische Kirchen, die in Genf schon lange vor dem aktuellen Tauwetter eine Plattform für den Dialog gefunden haben.
Die Schlüsselrolle der Frauen
Die Vorsitzende des Zentralausschusses im ÖRK, Agnes Abuom, die der anglikanischen Kirche in Kenia angehört, verweist später gegenüber dem Papst auf die gemeinsame Friedensarbeit in Afrika. «Im Südsudan ist es besonders wichtig, dass sich die christlichen Kirchen als eine Einheit wahrnehmen.» In Abweichung vom Skript betont Abuom die Schlüsselrolle, welche die Frauen in Versöhnungsprozessen spielen, und verurteilt die grassierende Gewalt gegen Frauen und Kinder.