Umdenken geht nicht über starre Vorgaben

Fleisch

In einer «tierfreundlichen Kirche» liegt an einem Apéro auch mal Fleisch drin. Aber das Label propagiert den Verzicht und ein Umdenken. 

Die Welt ist alles andere als besonders tierfreundlich: Tiere verlieren den Lebensraum, leiden in Massenhaltung, Arten sterben aus. Jedenfalls ist das der Standpunkt des Arbeitskreises Kirche und Tiere (Akut). Deshalb müsse jetzt gehandelt werden, fordert er unter anderem auf seiner Website. Wir Menschen seien beauftragt, uns um die Schöpfung zu kümmern. Genau zu diesem Zweck hat der Arbeitskreis im Oktober 2020 eine Initiative lanciert, die «Tierfreundliche Kirche». 

Mit dieser will Akut Kirchgemeinden zum Handeln motivieren. Wer das Zertifikat will, verpflichtet sich, fünf Grundsätzen zu folgen: die «mitgeschöpfliche Würde» von Tieren zu achten, tierfreundlich zu beschaffen und zu kommunizieren, Lebensräume für sie zu schaffen und zu schützen, ihnen im kirchlichen Leben und Denken Raum zu geben und Organisationen mit tierethischem Fokus zu unterstützen. 

Eine Chance für Gespräche 

Und so setzt das die jüngste «tierfreundliche Kirche» um: «Auf unserem monatlichen Mittagstisch steht nur noch jedes dritte Mal ein Fleischgericht», erklärt Christine Thommen, Präsidentin des Kirchenstandes Schaffhausen-Buch­thalen. Die Kirchgemeinde führte schon seit einigen Jahren Tiersegnungsgottesdienste durch und war auch bereits mit dem Label Grüner Güggel umweltbewusst auf dem Weg. «Und so beschlossen wir, unsere Massnahmen im Segment der Tierfreundlichkeit auszuweiten», führt Christine Thommen aus. 

Schweizer essen viel Poulet aus Brasilien

Biofleisch erreichte 2023 einen Marktanteil von 6,1 Prozent, ein Drittel mehr als zehn Jahre zuvor laut Da­tenbank Statista. Der Marktanteil von Biofleisch liegt laut Bio Suisse bei einem Prozent. Trotz dieses bescheidenen Werts zählt Biofleisch mit einem Umsatz von rund 271,4 Millionen Franken zu den umsatzstarken Bioprodukten. 

Wenig tierfreundlich ist die Schweiz beim Verzehr von Poulet: 1505 Tonnen artgerecht gehaltenes Federvieh entsprechen nur 3 Prozent des Geflügels, das 2023 gekauft wurde. Bio Suisse verweist auf den Preisunterschied: Die Differenz im Regal «beträgt das 2- bis 2,5-Fache». Das bremse den Absatz. Biohaltung führe zu höheren Produktionskosten und Preisen. 2023 wurden laut Bauernverband 18'433 Tonnen Rindfleisch importiert, 479 Tonnen aus Österreich, 4427 Tonnen aus Deutschland. 

Beim Poulet kamen 39'400 Tonnen aus dem Ausland, mit 17'560 Tonnen fast die Hälfte aus Brasilien, gefolgt von Ungarn mit 5808 Tonnen. Fast die Hälfte der Poulets stammt aus dem Ausland. wsb

Der Prozess bis zum Erhalt des Labels dauerte rund ein Jahr. Er sei «sehr konstruktiv» verlaufen, das Projektteam habe viele unterstützende Reaktionen erhalten, berichtet Thommen. Das neue Label sei auch eine Chance, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. «Das funktioniert auch dann, wenn jemand skeptisch reagiert.» 

Noch geringes Interesse 

Seit Start der Initiative sind nebst Buchthalen erst acht Kirchgemeinden oder Institutionen «tierfreundlich» gelabelt geworden, zwei weitere arbeiten daran. Und woran liegt das doch eher verhaltene Interesse? Eveline Schneider Kayasseh glaubt, dass der Beitrittsprozess vielleicht manche abschrecke. Die Geschäftsleiterin von Akut betont aber, dass das Zertifikat niederschwellig zu erreichen sei. «Eine Massnahme pro Grundsatz reicht für den Einstieg.» 

Der Verzicht auf Fleisch ist häufig ein sensibler Punkt, der schnell zu kontroversen Diskussionen führt und den ganzen Prozess stoppen kann.
Eveline Schneider Kayasseh, Geschäftsleiterin des Arbeitskreises Kirche und Tiere (Akut)

Fleischloses Essen spielt in den Grundsätzen und vorgeschlagenen Massnahmen keine Hauptrolle. Mit Absicht, sagt Schneider Kayasseh. «Dieser Verzicht ist häufig ein sensibler Punkt, der schnell zu kontroversen Diskussionen führt und den ganzen Prozess stoppen kann.» Deshalb setzt Akut nicht auf starre Vorgaben, sondern will das Bewusstsein fürs Thema schärfen und positive Alternativen anbieten. 

Der Pfarrer, Ethiker und Akut-Präsident Christoph Ammann findet: Kirchgemeinden müssten stärker an ethischen und ökologischen Kriterien gemessen werden. «Das Ziel von innovativen Massnahmen sollte eine Kirche sein, die glaubwürdig Zeugnis ablegt für das Reich Gottes.» Das schliesse mit ein, dass Kirchen für ein friedlicheres Zusammenleben von Mensch und Tier einstünden.