Ein abhandengekommenes Erbstück auf Besuch

Kulturgeschichte

Ein Prunkstück von enormem Wert mit turbulenter Geschichte: In Delsberg ist derzeit die Bibel von Moutier-Grandval ausgestellt – das wohl wichtigste kulturelle Erbstück des Jura.

«Jetzt stehe ich vor diesem Werk!», entfährt es einer Ausstellungsbesucherin, als wir zu fünft fünf Minuten lang Zeit haben, uns die Bibel von Moutier-Grandval anzuschauen. Die grossformatige Bibel aus dem 9. Jahrhundert besticht durch ihre prächtigen Buchmalereien und gehörte ursprünglich den Mönchen des einstigen Benediktinerklosters von Moutier-Grandval. Derzeit ist sie im Musée jurassien d’art et d’histoire in Delsberg ausgestellt. Zum zweiten Mal, seit sie dem British Museum in London gehört.

Jurassischer Kulturschatz 

Wie die Bibel nach London kam, ist im Jura eine wohlbekannte Geschichte: Kinder entdeckten sie in einem Estrich, der Bürgermeister von Delsberg verkaufte sie an einen Antiquitätenhändler, der sie 1836 für auch damals läppische 750 Pfund ans British Museum weiterverkaufte. Damit verlor der Jura eines seiner wichtigsten kulturellen Erbstücke. Und nun ist die Bibel – die inzwischen Millionen wert ist – wieder da, zumindest für drei Monate. Zum zweiten Mal darf das Musée jurassien sie nun im Rahmen einer Sonderausstellung zeigen, unter strengen konservatorischen Auflagen.

Für religiös Interessierte ist der Anblick ergreifend.
Mirjam Grob, Historikerin und Kulturvermittlerin

Bedeutendes Kunstwerk 

Es ist ihr hervorragender Zustand, der diese Bibel so wertvoll macht. Zudem handelt es sich um die älteste erhaltene Bibel mit ganzseitig gemalten Bildern. Es sind vier an der Zahl, deren Farben leuchten noch heute. In den Darstellungen gibt es viele künstlerische Neuerungen. Die Geschichte von Adam und Eva etwa wird als Bildergeschichte erzählt, ähnlich einem heutigen Comic – etwas ganz Neues für damals. Auch schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung war die Bibel ein wertvolles Prestigeobjekt. Für ihre 900 Seiten benötigte es Häute von 220 Schafen. 20 Schreiber und mehrere Maler arbeiteten ein halbes Jahr an ihr. Neben den grossen Buchmalereien gibt es 84 Zierbuchstaben. Deren 55 sind reich verziert. 

Hergestellt wurde die Bibel in der Abtei St. Martin in Tours im heutigen Frankreich. Dort gründete der Karolingerkönig Karl der Grosse im 9. Jahrhundert eine Schreibstube. Sie erlangte grosse Bedeutung, denn er liess dort Prachtbibeln für die Klöster in seinem Reich herstellen. Dass die Stiftsherren von Moutier-Grandval eine solche erhielten, war eine Auszeichnung und belegt den grossen Einfluss des Stifts. 

Standardisierte Bibeln

Karl der Grosse wollte sein Reich auf Basis des Christentums ausweiten. Er liess die Bibel in Anordnung der kanonischen Bücher, Seitengestaltung und Textinhalt vereinheitlichen, um seine Klöster mit standardisierten Bibeln auszustatten. Als gut leserliche Schrift wurde die karolingische Minuskel eingeführt. Altes und Neues Testament wurden in einem Band vereint. Beide im Zusammenhang zu lesen, ist eine zentrale Errungenschaft der karolingischen Theologie. Die bereinigten Bibeln dienten in den Klöstern zum Abschreiben.

Klöster standen am Anfang der Entwick lung des heutigen Kantons Jura. «Das Christentum ist ein zentraler Teil der jurassischen Identität», sagt Mirjam Grob vom Musée jurassien. Rund um die Klöster gab es die ersten Siedlungen und Strassen der Region, und sie waren Zentren von Wirtschaft und Wissen.

Religiöser Anziehungspunkt 

Gemäss Grob stösst die Ausstellung bei Pfarreien und Kirchgemeinden aus der Umgebung auf besonderes Interesse. Sie wird wohl so viel Publikum anziehen, wie das Museum sonst in einem Jahr verbuchen kann. Wer die Bibel sehen will, muss sich im Voraus anmelden. 

Das Buch werde von vielen Besuchenden als religiöses Werk und etwas Heiliges betrachtet, sagt Grob. «Für religiös Interessierte ist es sehr ergreifend zu sehen, wie versucht wurde, den biblischen Darstellungen in den Buchmalereien Leben einzuhauchen», erklärt sie. Stehe man vor diesem eindrücklichen Werk, spüre man, dass es als gebührender Auftritt für das Wort Gottes geschaffen worden sei.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 8. Juni. Infos und Tickets unter www.mjah.ch.