Kultur 05. Juni 2024, von Isabelle Berger

Albert Anker, tief verankert in der reformierten Kultur

Kunst

Albert Ankers Bilder sind nicht einfach bäuerliche Idyllen. Das Schöne und Gute in seinen Werken ist Ausdruck seines tiefen Glaubens. Und in seiner Art auch dezidiert reformiert.

Wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre Albert Anker (1831–1910) nicht Maler, sondern Pfarrer geworden. Und ausgerechnet ein Theologieprofessor erwirkte beim Vater Samuel Anker, dass sein Sohn das Studium zugunsten seiner Leidenschaft abbrechen durfte. «Er fand immer, Pfarrer zu werden, sei nicht seine Bestimmung», sagt Matthias Brefin, Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Albert-Anker-Haus in Ins und Pfarrer im Ruhestand. Albert Anker war sein Ururgrossvater. Trotzdem habe die Theologie Anker bis ins hohe Alter interessiert. Dementsprechend blieb denn auch seine Kunst davon nicht unberührt.

 «Die Familie Anker war stark bürgerlich-pietistisch geprägt», erklärt Brefin. Die Kirche im Dorf Ins im Berner Seeland, wo Anker aufwuchs und nach seinen Pariser und Reisejahren bis zu seinem Tod auch wohnte und arbeitete, sei stark von den hugenottischen Protestanten in Neuenburg beeinflusst gewesen. Dort besuchte Anker auch viele Jahre die Schule. Wenn er eine Taufe malte oder wenn auf dem Gemälde «Das Schulexamen» in der Schulstube eine Landkarte von Palästina an der Wand hängt, sind dies Zeugnisse seiner kulturell christlich geprägten Lebensumwelt. 

Auf Augenhöhe mit allen

Doch die Art, wie Anker seine Motive darstellt, zeigt ein nicht nur oberflächlich christliches Bild. «Auffällig ist die immer würdevolle Darstellung der Menschen; darin drückt sich für mich das Christliche aus», sagt Kunsthistorikerin Kathleen Bühler. Anker müsse ein Mensch mit hohen ethischen Überzeugungen und einer ausgeprägten Demut und Bescheidenheit gewesen sein. Auch für Brefin ist der christliche Wert der Achtung des Menschen in der Kunst seines Vorfahren deutlich sichtbar.

Vor allem in seinen vielen Darstellungen von Kindern. «Für Anker waren Kinder nicht einfach kleine Erwachsene, die man drillen muss», sagt Brefin. Anker ging wortwörtlich auf Augenhöhe mit Kindern, wenn er sie malte. So etwa beim Porträt seiner zweijährigen Tochter Marie Anker. Dieses Bild ist in der aktuell im Kunstmuseum Bern laufenden Ausstellung «Lesende Mädchen» zu sehen, die Kathleen Bühler kuratiert hat. Frontal blickt das Kind die Betrachterin an und erscheint ihr damit ebenbürtig.

Wer Ankers Bilder betrachtet, versenkt sich wie in ein Gebet.
Kathleen Bühler, Chefkuratorin Kunstmuseum Bern

Die Figuren in Ankers Bildern seien auch individualisiert, sagt Kathleen Bühler. Im Gemälde «Dorfschule im Schwarzwald» stellt er etwa Rasi dar, einen gehörlosen Jungen, den er dort kennengelernt hatte. «Er förderte ihn und erteilte im Malunterricht», sagt Brefin. Den hörbehinderten Rasi zeigt Anker integriert in die Schulklasse. «Anker wies stets auf das Gute in der Gesellschaft hin, auch wenn er schwierige Momente abbildete», sagt Bühler. Auf diesem Weg drücke sich ein Zutrauen aus, dass es gut kommt.

Bilder wie Gebete

Ein weiteres Motiv ist Dankbarkeit für einfache Dinge. So zeigt ein Stillleben eine Schale mit Kastanien, dem «Brot der Armen», sowie eine Karaffe und ein Glas mit Saft. «Wenn jemand etwas malt, ist es für ihn bildwürdig und etwas wert», so Bühler. Das Gemälde erinnert auch an das Abendmahl und ist ein gutes Beispiel für das Kontemplative in Ankers Werk. Wenn man seine Bilder betrachte, komme man in einen Frieden und eine Versenkung wie in einem Gebet, sagt Bühler.

Centre Albert Anker

Am 7. Juni eröffnet die Stiftung Albert-Anker-Haus in Ins das neue Centre Albert Anker. Das Atelier und das historische Wohnhaus wurden sanft saniert, mit Empfangsräumen und einer Dauerausstellung ausgestattet und um einen Neubau erweitert. Dieser beherbergt neu das Kulturgüterarchiv und Wechselausstellungen. Tickets und Führungen gibt es unter centrealbertanker.ch. Eine Online-Buchung ist Pflicht für beides.

Sie und Brefin sind sich einig, dass Anker mit seinen Bildern nicht predigen wollte. Er sei in seinem Schaffen nie aufdringlich oder gar moralisierend gewesen, führt Brefin aus. In dieser Zurückhaltung zeigt sich ein Wesenszug, der durch und durch reformiert ist.