Recherche 23. Januar 2024, von Marius Schären

Hilfe für Ukraine gefährdet Projekte für den Süden

Politik

600 Millionen Franken jährlich will der Bundesrat an Wiederaufbauhilfe in der Ukraine zahlen. Woher dies kommen soll, ist umstritten. Hilfswerke wehren sich für südliche Länder.

Trotz kalter Witterung und ernster Mienen bewirkte der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Mitte Januar in Bern Gutes: Die Schweiz brachte sich als Ort für eine Friedenskonferenz ins Spiel.

Wiederaufbauhilfe hatte die Landesregierung schon im November versprochen. Mit sechs Milliarden Franken möchte der Bundesrat nach dem Krieg die Ukraine unterstützen, verteilt auf zehn Jahre. In der Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA) 2025 bis 2028 waren lediglich 1,5 Milliarden für die Ukraine vorgesehen.

Kommission fordert Fonds

Der Bundesrat will die massiv aufgestockte Wiederaufbauhilfe für die vom Krieg zerstörte Ukraine weitgehend mit Geldern aus dem Topf für die IZA finanzieren. Diese Absicht schreckt viele Organisationen auf.

Dazu zählen das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks), Mission 21 und die katholische Fastenaktion. Alle drei unterstützen deshalb – zusammen mit vielen anderen – die Kampagne «Mehr Solidarität jetzt» von Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.

Falls die bisher zur Verfügung stehenden Mittel gekürzt würden, hätte dies die Reduktion oder gar Einstellung von Projekten zur Folge.
Dieter Wüthrich, Heks-Mediensprecher

Zur IZA-Strategie wurde im November die Vernehmlassung abgeschlossen. Alliance Sud hat gemäss eigenen Angaben die umfangreichen Stellungnahmen analysiert.

Der Verbund ortet riesigen Widerstand: In 93 Prozent der Antworten werde gefordert, dass die Ukraine-Hilfe aus zusätzlichen Mitteln finanziert werde. Auch fünf von sieben Parteien und neun von elf Kantonen äusserten sich in diesem Sinn, teilt die Organisation mit.

Die Finanzkommission des Nationalrats stösst ins gleiche Horn: Sie fordert in einer Motion einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine. Er soll durch IZA-Gelder, aber auch durch ausserordentlich bewilligte Mittel gespeist werden.

Zulasten des Südens

Ohne eine Erhöhung des Budgets würde die Ukraine-Hilfe auf Kosten anderer gehen, meinen die Kritiker. «Falls die bisher zur Verfügung stehenden Mittel gekürzt würden, hätte dies die Reduktion oder gar Einstellung von Projekten zur Folge», sagt Heks-Mediensprecher Dieter Wüthrich. Selbst der Rückzug aus Ländern wäre allenfalls nötig.

Die Leidtragenden wären einmal mehr die Ärmsten dieser Erde.
Bernd Nilles, Geschäftsleiter Fastenaktion

Bernd Nilles, Geschäftsleiter der Fastenaktion, bekräftigt dies: «Die Leidtragenden wären einmal mehr die Ärmsten dieser Erde.» Gelder, die von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes (Deza) ans Werk fliessen, machen bei Fastenaktion 28 Prozent, bei Heks knapp 22 Prozent des Aufwands für die Auslandsarbeit aus. Diese Zahlen nennen die Organisationen auf Anfrage von «reformiert.».

Beschämende Quote

Trotz der Kritik sind die Hilfswerke sich in einem Punkt mit dem Bundesrat einig: Unterstützungsbeiträge für die Ukraine sind nötig. Doch mit dem Abzug von Geldern der IZA würde ein UNO-Ziel noch weiter verfehlt als ohnehin: Demnach sollten 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt werden. Nach den Plänen des Bundesrates sinkt die Quote laut Alliance Sud auf «beschämende 0,36 Prozent».

In der Frühlingssession, die am 26. Februar beginnt, wird der Bundesrat Antrag auf Annahme oder Ablehnung der Motion stellen. In der Kommission hatten SVP und FDP einen separaten Fonds für die Ukraine abgelehnt.