Ein Lichtermeer als Zeichen der Trauer und des Friedens

Nahostkonflikt

Die acht Religionsgemeinschaften des Berner Hauses der Religionen trauerten in einer gemeinsamen Feier um die Opfer des Gewaltausbruchs im Nahen Osten.

Das Foyer des Hauses der Religionen am Berner Europaplatz platzte beinahe aus allen Nähten. Die Institution hatte zum einem öffentlichen Besinnungsanlass anlässlich des Gewaltausbruchs im Nahen Osten eingeladen. Die Stimmung im zahlreich erschienenen Publikum war ruhig und nachdenklich. Vor und im Haus war Sicherheitspersonal präsent, am Eingang wurden die Taschen kontrolliert. Die Sicherheitsvorkehrungen machten bewusst, wie heikel die Situation auch in der Schweiz ist. Es hatte etwas, trotzdem an der Veranstaltung teilzunehmen.

Vereint in der Trauer

Das Haus der Religionen vereint acht Religionsgemeinschaften unter einem Dach, die mit dem Anlass gemeinsam aller Opfer gedenken und sich für den Dialog zwischen den Religionen und Kulturen einsetzten wollten, wie es in der Einladung formuliert ist. Nachdem der «Chor der Nationen» den Anlass mit einem Lied eröffnet hatte, begrüsste Johannes Matyassy, Präsident des Hauses der Religionen, die Anwesenden. Die Vorbereitung der Veranstaltung sei eine Herausforderung und eine Gratwanderung gewesen. «Es ist die Trauer um all die Opfer, die uns vereint», so Matyassy.

Programmgemäss traten mehrere Rednerinnen und Redner auf. Nach ihren Beiträgen zündeten sie jeweils eine Kerze auf einem Tisch vor dem Publikum an. Erster Redner war Stadtpräsident Alec von Graffenried. Das Versprechen an die Juden, dass sich eine Katastrophe wie der Holocaust nie mehr irgendwo wiederholen solle, habe nicht gehalten werden können, sagte er. «Der vorletzte Samstag war ein Pogrom.» Die Ereignisse seien ein Rückschritt im Streben nach einem von Menschlichkeit bestimmten Zusammenleben.

Die Religionen können uns helfen, in Zeiten der Unmenschlichkeit zur Menschlichkeit zurückzukehren.
Alec von Graffenried, Berner Stadtpräsident

Von Graffenried trat der Ansicht entgegen, dass die Attacken religiös motiviert gewesen waren. «Ich kenne keine Religion, die nicht den Frieden, die Barmherzigkeit, die Nächstenliebe, die Solidarität und die Gerechtigkeit betont und einfordert.» Werde Religion als Vorwand für Krieg und Terror genommen, sei das ein Missverständnis, eine Missinterpretation, ein Missbrauch von Religion und eine Verdrehung der religiösen Botschaft. Religionen wollten nicht Hass und Unterdrückung schüren. «Sie können uns helfen, in Zeiten der Unmenschlichkeit zur Menschlichkeit zurückzukehren.»

Erinnerung an die Anwesenheit Gottes

Rabbiner Jehoschua Ahrens von der Jüdischen Gemeinde Bern zitierte aus Psalm 120: «Es wird meiner Seele lang, zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen. Ich halte Frieden, aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an.» In Hebräisch beginne der zweite Satz mit «Ich bin Frieden». Der Friede sei tief mit der jüdischen Identität verbunden. «Aber was mache ich, wenn ich den Frieden suche, mir aber Krieg entgegengebracht wird?» Genau diese Erfahrung habe Israel mit den jetzigen Anschlägen gemacht. Ahrens erinnerte aber an die Gegenwart Gottes, auf die Verlass sei. «Gott wacht zu jeder Zeit über Israel.»

Dann ging Ahrens auf den ersten Mord der Bibel ein. In den Versen mit der Geschichte von Kain und Abel komme das Wort «Bruder» fünfmal vor. «Man ermordet immer seinen Bruder oder seine Schwester.» Es gebe nur eine Menschheit, und alle Menschen seien im Ebenbild Gottes erschaffen. Doch diese Menschlichkeit habe bei den Ereignissen der letzten zwei Wochen gefehlt. Die Hamas-Terroristen sähen nicht den Menschen in ihrem Gegenüber, sondern bestenfalls ein Objekt.

Doch so, wie Gott Kain nach dem Verbleib seines Bruders Abel gefragt habe, trage jeder die Verantwortung für sein Gegenüber, sagte Ahrens weiter. Die Terroristen täten dies nicht. Ihre Ideologie des Todes richte sich nicht nur gegen Juden und Israelis, sondern gegen alle, die eine Wertgemeinschaft bildeten von Solidarität, Mitverantwortung, Nächstenliebe und Friedenswille. «Deshalb ist das ‹Nie-Wieder› jetzt», so Ahrens. Es sei auch nicht die Zeit, zu sagen, man müsse beide Seiten sehen. Jetzt sei die Zeit Verantwortung zu übernehmen und zu handeln.

Das ‹Nie-Wieder› ist jetzt.
Jehoschua Ahrens, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Bern

Nach diesen beiden Wortbeiträgen überraschte Imam Ramadan Shabani das Publikum mit dem seinigen. Er sang einen Koranvers, übersetzte und kommentierte ihn in zwei Sätzen. «O ihr Menschen, wir haben euch aus einem Mann und einer Frau erschaffen, und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt»: Der Vers betone die Einheit der Menschheit und ermuntere die Menschen unabhängig von Ethnie, Glaube und Überzeugungen, zusammenzuhalten. «Die Vielfalt der Menschheit wird als Segen Gottes betrachtet, der dazu dient, dass wir uns kennenlernen, respektieren und schätzen», so Shabani.

Auch Judith Pörksen Roder, Synodalratspräsidentin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, und Angela Büchel Sladkovic von der Katholischen Kirche Region Bern und Vorstandsmitglied des Hauses der Religionen, liessen sich vernehmen. Büchel erinnerte an Jesus, der angesichts seines bevorstehenden Todes die Jünger Petrus, Jakobus und Johannes ermahnte: «Bleibt hier und wacht.» Sie übertrug diese Aufforderung auf die in Trauer, Sorge und Angst versammelte Gemeinschaft. «Wir wollen miteinander und füreinander wachen.»

Festhalten an der Hoffnung auf eine friedliche Welt

Pörksen sagte, Christus habe die Liebe bis hin zur Feindesliebe als den Weg gesehen, um die Spirale von Hass und Gewalt zu durchbrechen. Unter den jetzigen Opfern habe es Menschen, die sich nichts sehnlicher gewünscht hätten, als dass die Gewalt aufhöre. In der Bergpredigt habe Jesus die Trauernden, die Gewaltlosen und die Friedenstiftenden seliggesprochen. «Wenn wir uns heute aus verschiedenen Religionsgemeinschaften hier im Haus der Religionen versammelt haben, dann, weil wir trotz allem an der Hoffnung auf ein friedliches Nebeneinander festhalten.»

Zum Abschluss ermunterte Matyassy die Anwesenden, ebenfalls eine Kerze anzuzünden. «Damit unterstreichen wir, dass wir zusammen in der Trauer sind, aber auch in der Weitsicht für eine friedliche Welt», sagte er. Seiner Aufforderung folgten viele aus dem Publikum, sodass auf dem Tisch ein Lichtermeer entstand.