Im Klostergarten von St. Avgin in Arth im Schatten der Rigi ertönt ein vielstimmiger Singsang. «So soll es sein», singen aramäische Kinder und Jugendliche, die bunt zusammengewürfelt aus der Schweiz, Belgien und Deutschland hier im Sommercamp sind. Warum dreissig Jugendliche statt Badi oder Fussballspielen ihre Ferien hinter Klostermauern verbringen, ergibt sich aus ihrem Glauben: Sie sind syrisch-orthodox und die lange Verfolgungsgeschichte dieser christlichen Syrer bildet den besonderen Kitt, der durch Vertreibungen in Syrien und Irak noch stärker geworden ist.
Zwangskonfiszierung. Auch die jüngsten Schlagzeilen aus der Türkei geben den Jugendlichen einen Stich ins Herz, stärkt sie aber dabei, die alte Sprache ihrer Vorfahren, die schon Jesus gesprochen hat, zu lernen. In der Türkei wird nicht nur die aramäische Sprache von den Behörden scheel angeschaut. Die regionale Provinzbehörde von Mardin in Südostanatolien hat im vergangenen Juni fünfzig syrisch-orthodoxe Immobilien im Zuge einer Verwaltungsreform konfisziert: Kirchen, Klöster und Friedhöfe, die bisher nicht ins Kataster eingetragen waren. Viele Dörfer und kirchliche Liegenschaften stehen leer und laden zum jetzigen Zwangszugriff ein. Zerrieben zwischen den Fronten der türkischen Armee und der kurdischen Guerilla PKK haben Zehntausende der Christen dem Tur Abdin, dem Herzland der Syrisch-Orthodoxen, den Rücken gekehrt. Lebten dort 1961 über 100 000 Syrer, sind es heute weniger als 6000.
Erzdiakon Malfono Isa dient seit fünfzig Jahren als «Knecht Gottes» im Zentrum der Gebirgsregion Tur Abdin, im Kloster Mor Gabriel nahe der syrischen Grenze. Seit vier Jahren kämpft das Kloster, das zu den bedeutendsten heiligen Stätten der Syrisch-Orthodoxen gehört, um seine Landrechte vor dem Europäischen Gerichtshof in Strassburg.
Und nun haben die Regionalfürsten der Regierungspartei AKP in der Bezirkshauptstadt Mardin die syrisch-orthodoxen Ländereien zum Gemeindeeigentum erklärt. Sie wollten sie der staatlichen Religionsbehörde Diyanet zuschanzen. Vorderhand will Diyanet aber davon nichts wissen. «Fakt ist indes, dass die Grundstücke nun kommunaler Boden sind und die Behörden sie jederzeit an sich nehmen und umnutzen können, wenn sie wollen», sagt Malfono Isa. Es sei ein Wechselbad. «Wenn der Druck vom Ausland gross wird, sagt die Religionsbehörde: Wir wollen die Liegenschaften nicht. Aber das kann sich schnell ändern.» Das Kloster, so Malfono Isa, strebe deshalb eine friedliche Verhandlungslösung an. «Hoffentlich können wir uns den Gang vors Gericht ersparen.»
Rechtsunsicherheit. Malfono erinnert daran, dass sich beim Amtsantritt von Staatschef Erdogan die Sache für die türkischen Christen zuerst besserte. «Plötzlich durften wir unsere Grundstücke registrieren.» Nun würden aber wieder die alten Rechtsunsicherheiten eingeführt. Natürlich ist der alte Kirchenlehrer, von dem so viele Bischöfe, Priester und Messdiener ausgebildet wurden, auch Kirchendiplomat. Er hält sich zurück, die Religionspolitik Erdogans zu kommentieren. Der Historiker und Türkei-Experte Hans-Lukas Kieser kann sich freimütiger äussern: «Jetzt konturiert sich in aller Schärfe, dass Erdogan die militant islamistischen Ansichten seiner Jugend nie wirklich überwunden hat und zudem osmanische Sultan-Kalife zum Vorbild nimmt.»