Brigitte Becker schaut auf das Bild von Christus, der aus einem Sarkophag heraussteigt. Er ist umstrahlt von goldgelbem Licht. Sein Grabtuch, das er emporreisst, wird zu einem roten Königsmantel, der ihn umweht. «Manchmal gruselts mich ein wenig vor dem Bild», sagt die Pfarrerin an der Zürcher Johanneskirche. «Die Auferstehung wirkt hier so triumphalistisch, wie ein totaler Sieg.» So verstehe sie die Auferstehung überhaupt nicht.
Natürlich weiss Becker, dass der berühmte Barockkünstler Matthias Grünewald im Bild die Theologie seiner Zeit verpackt hat: Er zeigte Christus als Herrscher der Welt. Das Bild steht in der Johanneskirche in Zürich, als Teil der Kopie des weltberühmten Isenheimer Altars, die Filmkulisse in Stefan Haupts «Finsteres Glück» (2018) war. Der Altar mit seinen aufklappbaren Flügeln zeigt in seiner geschlossenen Form die Kreuzigung; aufgeklappt sind die Verkündigung an Maria, die Geburt Jesu und ein Engelskonzert zu sehen. Und eben die Auferstehungsdarstellung, auf der Jesu Körper in Licht übergeht.
Zuversicht vermitteln
Dieser Lichtkörper spricht heute auch Menschen an, die sich das Jenseits, angelehnt an mystische Texte, als Raum des Lichts vorstellen. Becker allerdings mag es lieber nüchtern. «Mir ist wichtig, an Ostern kleine Geschichten des Aufstehens und Auferstehens zu erzählen.»
Sie berichtet von einer Kollegin, die nach einem Burnout eine schwere persönliche Krise durchlebt hatte. «Ganz am Ende, garade als sie nicht mehr leben wollte, kam das Leben wieder auf sie zu. Jeder kennt Beispiele solcher Prozesse.»
Die Theologin ist überzeugt, dass die Geschichte der Auferstehung, wenn sie achtsam auf den heutigen Alltag übertragen wird, Zuversicht vermitteln kann. «Sie erzählt von der Möglichkeit, dass etwas stärker ist als der Tod oder als Zustände im Leben, die sich wie Tod anfühlen.»
In der Bibel deuten die Evangelien die Auferstehung Jesu nicht weiter aus. Es ist Paulus, der im ersten Korintherbrief (Kapitel 15) die Idee einführt, dass jeder Mensch im Tod verwandelt und am Jüngsten Tag auferstehen wird.
Verwandlung nach dem Tod
Dies sei nicht die wichtigste Botschaft, die sie an Ostern predige, so Becker. «Ich möchte vielmehr von einem lebendigen Leben erzählen, das den Tod nicht fürchten muss.»
Auch Volker Bleil, neuer theologischer Leiter im Bildungshaus Kloster Kappel, betont: «Die Auferstehung verheisst nicht nur ein Weiterleben nach dem Tod. Sie besagt auch, dass Menschen sich während des Lebens erneuern können.»
Damit meint Bleil, dass jeder sich seelisch verwandeln kann, wenn er von Gott berührt wird. «Wie eine Raupe, die am Boden kroch, kann der Mensch die Schwere des Lebens abstreifen, zum Beispiel gescheiterte Beziehungen oder ungelebte Träume loslassen, und zum Schmetterling werden.» Der Schmetterling stehe «für ein Leben, das leichter, offener und farbenfroher ist.»
Viele Menschen würden Sehnsucht nach Verwandlung spüren. Bleil betont, dass diese österliche Verheissung aber nicht nur Menschen vor und nach dem Tod gilt, sondern der ganzen Schöpfung, die laut Bibel «neu» werden soll.
Ostern im Gefängnis
Die komplexe Theologie von Ostern niederschwellig zu verpacken, ist die Aufgabe von Karoline Iseli. Sie ist Gefängnisseelsorgerin in der geschlossenen Justizvollzugsanstalt Pöschwies, wo sie dieses Jahr eine Osterfeier gestaltet.
Bei der Feier, die für alle Religionen offen ist, versuche sie, die Erzählung auf die Lebenssituationen der inhaftierten Männer zu übertragen. «Wer im Gefängnis sitzt, braucht etwas Handfestes», gibt die Seelsorgerin zu bedenken, die auch im Untersuchungefängnis in Pfäffikon (ZH) und im Vollzugszentrum Bachtel arbeitet. Sie knüpft etwa bei den Jüngern von Emmaus an, die gemäss der Bibel nach dem Tod Jesu so verzweifelt und ratlos waren, dass sie Jesus zunächst gar nicht erkannten, als er ihnen begegnete.
«Viele Männer können sich in den Jüngern wiedererkennen, weil sie auch keine Perspektiven haben und vor dem Nichts stehen.» Jesus habe mit den Jüngern über Ostern hinaus eine Beziehung gelebt und dieser «Beziehungsaspekt» sei leitend in ihrer Seelsorgearbeit, erklärt Iseli. «Beziehung bedeutet Anteil nehmen und Vertrauen schaffen; wer sich angenommen weiss, kann sich mit seiner Schuld, die oft mit Scham verbunden ist, auseinandersetzen.» Ostern eröffne «die neue Perspektive, dass kein Leben verloren ist – auch nicht das von Menschen im Strafvollzug.»
Auf diese Weise vermittelt die Geschichte der Auferstehung im Gefängnis vielleicht einen Hoffnungsschimmer – wenn auch nicht so überirdisch leuchtend wie das barocke Bild.