Badener Disputation: Streiten über den Glauben

Reformation

Im Frühsommer 1521 attackierten sich in Baden Gegner und Anhänger der reformatorischen Bewegung – vorerst nur mit Worten

Eine Konferenz wie vor ein paar Wochen in Genf: Diplomaten aus dem Iran, aus den USA und anderen Staaten verhandeln, debattieren, streiten. Wenig von dem, was geschieht, kommt an die Öffentlichkeit. Und dabei möchte man doch so gerne wissen: Wie geht das zu bei solchen Zusammenkünften?

Wie ein solches Treffen vor fast 500 Jahren ablief, kann man jetzt in einem dicken Buch nachlesen: Vom 19. Mai bis zum 8. Juni 1526 tagten Abgesandte der Eidgenössischen Orte im aargauischen Baden – ein Ereignis, das es an Tragweite mit manchen heutigen Konferenzen aufnehmen könnte. In gelehrten Streitgesprächen wurde über Themen «disputiert», die damals die Christenheit entzweiten und auch politische Spannungen verursachten: Messopfer, Marien- und Bilderverehrung, Fegefeuer, Taufe.

Als der Rat von Zürich 1523 im Rathaus ein Glaubensgespräch abhielt, unter anderem zur Frage des Fastens, war diese «Disputation» eine politische Reaktion auf das «Wurstessen», mit dem die Belegschaft in der Druckerei von Christoph Froschauer im Jahr zuvor zur Fastenzeit die Öffentlichkeit schockiert hatte. Auch die zweite Disputation, diesmal zu Messe und Kirchenschmuck, waren zürcherische Angelegenheiten, die sich vergleichsweise leicht entscheiden liessen. Kritisch wurde die Lage jedoch, als sich die Bewegung der Reformation in der Eidgenossenschaft ausbreitete und deren Einheit auseinanderzubrechen drohte. Da kam vom Ingoldstädter Theologieprofessor Johannes Eck, einem scharfen Gegner Luthers, das Angebot, er würde mit reformatorisch Gesinnten aus der Eidgenossenschaft über eine von ihm vorgeschlagene Auswahl von Glaubenssätzen streiten. Den «altgläubigen» Orten war das willkommen, Zürich jedoch reagierte verstimmt, weil der «Doctor Egk» sich nicht direkt an die Stadt gewandt hatte. Nach längerem Zögern riefen die Eidgenössischen Orte im April 1526 politische Abgeordnete, Theologen, kirchliche Würdenträger, Gelehrte, Diplomaten – Alt- und Neugläubige – zu einer Disputation nach Baden.

Ungleich. Die Vertreter der reforma-
torischen Bewegung waren in verschiedener Hinsicht im Nachteil. Nur von dreissig der zweihundert Teilnehmer weiss man sicher, dass sie zu dieser Seite gehörten. Die Orte Uri, Schwyz und Unterwalden, Luzern und Zug waren für den alten Glauben. Auch kannten die «Neugläubigen» die Thesen nicht, die Johannes Eck als Diskussionsgrundlage verfasst hatte, und konnten sich nicht auf die Streitgespräche vorbereiten. Was sich für die Anhänger der Reformation besonders nachteilig auswirkte: Zwingli, der wichtigste Vertreter der Reformation, blieb dem Anlass fern. Der Zürcher Rat hatte seine Teilnahme nicht erlaubt, wohl aus Furcht, er könnte gefangen genommen und als Ketzer verurteilt werden.

An Zwinglis Stelle war es vor allem Johannes Oekolampad, Pfarrer an der Basler Martinskirche, der die Diskussionen mit Johannes Eck führte. Vielleicht war das sogar hilfreich, denn sowohl Zwingli wie Eck hatten ein aufbrausendes Temperament, Oekolampad dagegen trat leise und sachlich auf, dementsprechend aber auch wenig charismatisch. Drei Stunden lang argumentierte er in der Eröffnungsrunde, dem protestierenden Eck zum Trotz. Wie da gesprochen und gegengesprochen wurde, lässt sich den Protokollen entnehmen, die einigermassen neutral verfasst waren – spontane Unterbrechungen, Einwürfe und Beschimpfungen wurden nicht festgehalten. Andere Quellen geben ergänzende Informationen: Mitschriften, die eigentlich verboten waren, Berichte der Teilnehmer von beiden Seiten an ihre Vorgesetzten, Briefe und Erinnerungsschriften. Zwingli wurde durch aus Baden hinausgeschmuggelte Briefe auf dem Laufenden gehalten und antwortete seinerseits mit geheimen Anweisungen.

Unversöhnt. Die Einführungstexte im neuen Buch erklären nicht allein die Abläufe, sie machen manches von den Persönlichkeiten der Teilnehmer deutlich, auch ihre aufrichtigen Überzeugungen, auf beiden Seiten. Man schonte einander nicht – und kam sich auch nicht näher. Neun Stände der Tagsatzung entschieden sich für den alten Glauben, vier, nämlich Zürich, Bern, Basel und Schaffhausen, für die Reformation. Die Zerreissprobe zwischen den Eidgenössischen Orten ging weiter. Am 11. Oktober 1531 standen sich die Eidgenössischen Orte auf dem Schlachtfeld bei Kappel gegenüber. Zwingli verlor dort das Leben, die Reformation jedoch war nicht mehr aufzuhalten.

Das Buch über die Disputation

«Ir lieben, fromen cristen! Ich hab kein anhang, beger och niemands person anzehangen, sonder allein dem wort gottes.»
So lautet ein Zitat von Johannes Oekolampad in den Protokollen der Badener Disputation. Das Buch, das sie enthält, wurde im Mai in einer Vernissage vorgestellt, ökumenisch, wohlverstanden, in der Stadtkirche Baden,
also dort, wo die Gespräche damals stattgefunden hatten. Unter der Leitung von Alfred Schindler (†) und Wolfram Schneider-Lastin wurde seit 1998 an dieser kritischen Edition gearbeitet. Sie ist ergänzt durch eine historische und eine philologische Einleitung und weitere Kommentare.

Badener Disputation. Kommentierte Edition des Protokolls. TVZ, 2015. 752 Seiten, Fr. 98.–