Scharf Gezeichnetes in der Volkssprache

Literatur

Berndeutsche Lyrik mit bodenständigem Sound und feinem Hintersinn: Marianne Grund hat jüngst ihren zweiten Gedichtband veröffentlicht.

Der nächtliche Kampf bis aufs Blut mit einer Stechmücke. Nachdenklichkeit in einer Silvesternacht. Die balladeske Geschichte von einem Stallburschen, der nicht weiss, wie mit einem edlen Pferd umzugehen ist. Die gespenstische Stimmung einer Walpurgisnacht. Der Sternenhimmel. Der Tod als Spielmann, nach dessen Pfeife alle tanzen.

Dies und noch vieles mehr hat Marianne Grund, in Oberburg lebende ganzheitliche Therapeutin sowie Lyrikerin, in ihrem zweiten, letzthin erschienenen Gedichtband «Zu de Wurzle cho» frisch aus dem Leben gegriffen und ebenso frisch in Mass und Reim gesetzt – in berndeutsche Verse.

Dialekt in Reim und Mass

Berndeutsch steht schon lange nicht mehr ausschliesslich für Volkstümliches. Der Dialekt hat Einzug gehalten in die Hoch- wie in die Breitenkultur der deutschsprachigen Schweiz. Marianne Grund schreibt einen Dialekt, der sich stark an der alltäglichen Sprache des unteren Emmentals orientiert, aber dennoch einen literarischen Anhauch hat: Ein erdiger, manchmal deftiger, manchmal stillerer Klang verbindet sich mit fein Beobachtetem und gekonnt Verdichtetem zu eingängigen, dabei aber auch tief- und hintersinnigen Strophen.

In Marianne Grunds Versen schwingt ein spirituelles Empfinden mit, das über das Alltägliche hinausweist.

Das handliche Bändchen gliedert sich in drei Zyklen. Der erste Teil heisst «Es paar dichti Gschichte» und bringt Episodisches zu Gehör. Der zweite Teil «Liecht im Schatte» enthält Gedichte, die ein bisschen den Charakter von Weisheitssprüchen tragen. Im dritten Teil schliesslich, «Zwüsche Schatte u Liecht», verbindet sich Aphoristisch-Spruchhaftes leichtfüssig mit Elementen der Kürzesterzählung, ebenfalls in Rhythmus und Reim, auch mal gewürzt mit einem Augenzwinkern.

Die Vielfalt des Seins

Auch wenn es selten ausdrücklich zur Sprache kommt, schwingt in Marianne Grunds Versen ein spirituelles Empfinden mit, das weit über das Alltägliche hinausweist. Dass Sprache für sie letztlich ein Vehikel ist, um dem Geheimnis und der Vielfalt des Seins nachzuspüren, bringt die Lyrikerin immer wieder zum Ausdruck, wie beispielsweise mit diesen Zeilen: «U d’ Schpure, wo mer i üsem Läbe hei zoge, lüüchte u verschwinde wie e Rägeboge. Z’ Wüsse tröchnet d’ Träne, dass mer Wanderer sy zwüsche de Schtärne.»

Marianne Grund: Zu de Wurzle cho. Illustriert von der Verfasserin. Herrmann Langnau, 2023. ISBN: 978-3-907229-23-1