Recherche 24. Mai 2017, von Thomas Illi

Braucht auch die Kirche Marketing?

Erscheinungsbild

«Kirchgemeinde» oder nur «Kirche», «evangelisch-reformiert» oder nur «reformiert» – im Aargau wird heftig über eine neue, gemeinsame Wortmarke diskutiert.

Im November 2016 hatte die reformierte Kirchensynode dem Ansinnen des Kirchenrats, für Landeskirche und Kirchgemeinden ein neues, einheitliches Erscheinungsbild zu schaffen, im Grundsatz zugestimmt. Wie die neue Wortmarke aussehen soll, müsse aber konkretisiert und einer neuen Synodensitzung – wenn möglich diesen November – vorgelegt werden.

Vorbild Zürich. Seither ist eine hochkarätige Arbeitsgruppe mit Kirchenvertretern und auswärtigen Fachleuten daran auszuloten, ob die in Zürich vor sechs Jahren erfolgreich lancierte Wortmarke nach dem Typus «reformierte Kirche XY» – wobei XY für die Landeskirche oder den Ort steht – auch im Aargau Anklang findet. Im Juni soll bei Synodalen, Kirchenpflegenden, Pfarrern und Diakoninnen eine Online-Konsultation stattfinden. Zur Einstimmung war dieser Personenkreis im April nach Aarau eingeladen, um mit Fachleuten die strittigen Fragen öffentlich zu diskutieren. Diese sind: die Reduktion auf das Wort «Kirche» statt «Kirchgemeinde» sowie der vorgeschlagene Verzicht auf den Zusatz «evangelisch» zu «reformiert» – obschon derzeit nur 11 von 75 Aargauer Kirchgemeinden unter dem Label «evangelisch-reformiert» auftreten.

«Ein Erscheinungsbild muss plakativ sein, da gelten die Gesetze des Marketings», meinte Nicolas Mori, der Kommunikationsleiter der Zürcher Landeskirche: «Auch Luther schaute den Leuten aufs Maul.» Im allgemeinen Sprachgebrauch gebe es keine «Evangelischen», sondern nur «Reformierte». «Wir sollten nicht an den Menschen vorbeikommunizieren.» Frédéric Renzen, Leiter der Kommunikationsagentur Renzen Communications, erinnerte an eingängige Marken wie IBM oder BMW: «Wer weiss schon, dass hinter diesen Abkürzungen «Bayerische Motoren-Werke» und «International Business Machines» steht?» Frank Worbs, Kommunikationsleiter der Landeskirche, ist überzeugt: «Reformiert» kennzeichne «eindeutig und prägnant» und sei durch Öffentlichkeitskampagnen seit fünfzehn Jahren «als Marke etabliert».

Frohe Botschaft. Ob allerdings diese Gesetze der Marken und des Brandings auch im kirchlichen Bereich gelten, ist für Kritiker des Projekts alles andere als klar. Zu ihnen gehört zum Beispiel Pfarrerin Christine Stuber, Vorstandsmitglied im Aargauer Pfarrkapitel. Für sie lässt sich «evangelisch» einfacher erklären als,«reformiert». Eine «evangelische» Kirche habe eine frohe Botschaft zu verkünden, die nicht nur aus Worten, sondern aus starken Taten bestehe. «Kirchgemeinde» wiederum drücke Gemeinschaft aus, und nicht zuletzt – in Anlehnung an die politische Gemeinde – auch demokratische Strukturen. In den Workshops wurde argumentiert, dass «Kirche» für ein Gebäude und überdies für den Sonntagsgottesdienst stehe. «Kirchgemeinde» dagegen sei weitergefasst und niederschwelliger.

Skeptisch zeigte sich in seinem Referat und in der Diskussion auch der Berner Theologieprofessor Frank Mathwig: «Die Marketing-Perspektive ist nicht die Perspektive der Basis. Marketing ist Theorie. In der Wirtschaft stehen Marken wie Swisscom, IBM oder BMW für Produkte. Die Leute sind völlig austauschbar.» Anders bei der Kirche: Darum seien auch gewachsene Begriffe nicht einfach auswechselbar.

Frank Mathwig erinnerte an die Entstehung der konfessionellen Bezeichnungen: Diese seien keine Selbstbezeichnung der Reformatoren, die sich durchwegs als Katholiken verstanden. Begriffe wie «Zwinglianer», «Lutheraner», «Calvinisten», überhaupt alle heute geläufigen Bezeichnungen für die Refor-mationskirchen, seien von den altgläubigen Gegnern in Rom erfunden worden, um die Zerstrittenheit der Reformatoren zu betonen: «Erst später übernahmen die Anhänger der Reformation nach und nach einige dieser Ausdrücke als Selbstbezeichnung.» Namenszusätze wie «evangelisch», «evangelisch-reformiert», «reformiert» sind für Frank Mathwig «Klammerbemerkungen», «Fussnoten», mit denen theologische oder kirchenpolitische Aspekte öffentlich gemacht werden können. Für den Theologieprofessor wäre – wenn schon – die Bezeichnung «reformiert-katholisch» die angemessene, denn sie stünde am nächsten bei den ursprünglichen Absichten und Intentionen der Reformatoren.

Äusserlichkeiten. Synodepräsident Roland Frauchiger, ebenfalls ein Kritiker des Projekts, erachtet «die Thematik der Wortmarke grundsätzlich als nicht wichtig». Jedermann kenne seine Kirchgemeinde, und im Unterschied etwa zu einer Bank benötigten reformierte Kirchgemeinden keinen kantonsweit identischen Auftritt. «Viel wichtiger wäre die Thematisierung der Markenbotschafter, denn das Evangelium wird nicht über Briefköpfe, sondern über glaubwürdige Beziehungen verbreitet. Es ist aber meist einfacher, über Äusserlichkeiten als über das Kerngeschäft nachzudenken.»

Das Thema scheint noch lange nicht ausdebattiert. Eine nicht repräsentative Positionierung der rund vierzig Diskussionsteilnehmer ergab immerhin eine klare Mehrheit für eine Wortmarke mit dem Begriff «reformiert.». Etwas weniger deutlich war die Zustimmung zur Reduktion auf das Wort «Kirche».