Recherche 23. Februar 2021, von Katharina Kilchenmann

«Religion ist ein heikles Thema»

Besitzerwechsel

Markus Somm übernimmt als Chefredaktor und Besitzer den «Nebelspalter». Die Satirezeitschrift soll bürgerlich werden und sich weiterhin mit Witzen über den Glauben zurückhalten.

Der «Nebelspalter» hat eben Karikaturen publiziert, die sich kritisch mit Ihnen als neuem Chef auseinandersetzen. Wie gefallen Sie sich im zu grossen Narrenkostüm?

Markus Somm: Diese Karikaturen haben mich ausserordentlich gefreut. Wann haben sich je so viele exzellente Zeichner mit mir auseinandergesetzt? Noch nie. Die Zeichnungen gefallen mir durchs Band. Originelle, bissige Ideen, souverän umgesetzt. So muss der «Nebelspalter» sein.

Hat Sie die Spitze, dass die neue Aufgabe eine Nummer zu gross für Sie sein könnte, getroffen?

Das ist doch das beste Kompliment, weil es wirklich von Herzen kommt, wenn auch unfreiwillig. Als ich neu nach Basel kam, gab mir Helmut Hubacher, der kürzlich verstorbene, grosse Sozialdemokrat, einen Rat: «Wenn Sie an der Fasnacht nicht Thema sind, haben Sie in Basel verloren!» Also zitterte ich jedes Jahr vor der Fasnacht: Würden sie mich und die BaZ auch gehörig in die Pfanne hauen? Und ja, jedes Mal wurden wir verspottet, verrissen, verhöhnt und ausgelacht. Wunderbar.

Beim «Nebelspalter» war man bisher bei religiösen Themen eher zurückhaltend: keine Witze über Glaubensinhalte, höchstens über Religionspolitisches. Bleibt das so?

Da wird sich kaum etwas ändern. Religion ist ein heikles Thema. Es geht dabei um etwas sehr Persönliches, Intimes, das sich für Satire nur schlecht eignet. Wir möchten die Menschen unterhalten, manchmal ärgern, öfter begeistern, aber nie das verhöhnen, was ihnen zutiefst am Herzen liegt. Satire ist menschenfreundlich – auch wenn manche Betroffenen das nicht immer merken.

Satire sollte sich grundsätzlich gegen die Mächtigen richten. Doch die Kirche ist keine mächtige Institution mehr, gegen die sich die Schwachen mit Witz erheben müssten.
Markus Somm

«Verdienen religiöse Themen mehr Schutz und Respekt als andere?

Ich denke ja. Wer an Gott glaubt, ist in dieser Hinsicht besonders verletzlich. Deshalb würde ich mich nicht über religiöse Gefühle von Christen, Juden, Buddhisten oder Muslimen lustig machen. Ausserdem gibt es auch eine irritierende Diskrepanz: Witze über das Christentum, über Jesus oder den Papst sind etwas vom Langweiligsten, was es gibt. Warum? Weil viele gar nicht mehr gläubig sind und nichts dabei empfinden, wenn der Glauben dem Spott preisgegeben wird. Zugleich hat die Kirche fast alle Macht verloren. Man reisst mit anderen Worten Witze über einen Patienten. Ist das lustig? Alle klopfen sich fidel auf die Schenkel – wer es aber wagt, über Mohammed sich zu mokieren, geht enorme Risiken ein. Da verzichte ich lieber ganz auf religiöse Witze, als hier selektiv Hohn zu verteilen. Satire sollte sich grundsätzlich gegen die Mächtigen richten. Doch die katholische und die reformierte Kirche sind keine mächtigen Institutionen mehr, gegen die sich die Schwachen mit Witz erheben müssten.

Die Mohammed-Karikaturen im französischen Magazin «Charlie-Hebdo» hatten fatale Konsequenzen. Würden Sie solche Zeichnungen zulassen?

Das kann ich nicht generell beantworten. Es kommt immer auf den Kontext und auf die Aussage und Qualität der Zeichnung an. Aber wie gesagt: Grundsätzlich verzichte ich lieber auf religiöse Witze.

Der «Nebelspalter» galt in den letzten Jahren als gemässigtes linkes Blatt. Planen Sie eine Kursänderung?

Gemässigt links? Stimmt das überhaupt? Ich weiss es nicht. 1875 gegründet, war der «Nebi» so gut wie immer bürgerlich-liberal, mehr als ein Jahrhundert lang, und als er es einmal auf links versuchte, ging er fast ein. Das ist eine linke Mär, erzählt von linken Narren. Doch bestimmt wird sich einiges ändern, insbesondere möchten wir den «Nebelspalter» auch zu einer normalen News-Plattform umformen, wo also Satire neben seriösen Recherchen, Analysen und Kommentaren steht. Die Satire bleibt ein zentraler Bestandteil – das ist die DNA des «Nebelspalters» – aber wir ergänzen sie mit etwas vollkommen Neuem. Ausserdem schärfen wir das Profil. Wo ich stehe, ist bekannt: ich bin dezidiert bürgerlich, und das wird man auch im «Nebelspalter» spüren. Gleichzeitig bin ich ein Freund der Debatte und ein Verfechter des grenzenlosen Pluralismus. Es wäre ja auch grotesk: Wir möchten den Einheitsbrei, der in den meisten Medien vorherrscht, nicht mit einer Einheitsmeinung bekämpfen. Das wäre mir zu langweilig und intellektuell zu armselig, zumal gerade die Satire eine brutale Offenheit benötigt. Der Hofnarr lacht über den König und die Königin.

Sie als ehemaliger Linker und heute als «Liberal-Libertärer» treten gegen die Linken an?

Warum nicht? Ich stelle mich jeder Diskussion. Meine Erfahrung ist jedoch, dass die Linken leider das Gespräch oft verweigern. Vielleicht weil sie keine Argumente haben, womöglich auch weil sie es nicht nötig haben, da sie in den meisten Institutionen unseres Landes an der Macht sitzen. Das Potential für ein neues Medium, das sich rechts der Mitte positioniert, halte ich jedenfalls für beträchtlich. 

Heute vernachlässigt die Reformierte Kirche ihr Kerngeschäft auf geradezu selbstmörderische Art und Weise.
Markus Somm

Zurück zur Religion. Wie haben Sie es mit Gott und dem Glauben?

Ich bin Agnostiker, interessiere mich aber für Religion. Vor zehn Jahren hätte ich wohl noch gesagt, dass es keinen Gott gibt oder braucht. Heute bin ich unsicher und stelle fest, dass gläubige Menschen die Unwägbarkeiten und Herausforderungen des Lebens oft besser, insbesondere würdiger meistern als wir Lauwarmen. Mir imponieren die Zuversicht der gläubigen Christen, ihre Demut, der Respekt vor dem Leben und ihre moralische Kraft. Wir alle wissen, wie schwer es fällt, jeden Tag sich seine eigene Moral zu basteln. Wenn ich schon nur an das Wort «Gnade» denke, bin ich beeindruckt. Was für eine grossartige Idee.

Sie sind aus der katholischen Kirche ausgetreten, ihre Kinder aber sind alle getauft und konfirmiert. Wie stehen Sie zur Kirche?

Die Reformierte Kirche sagt mir an sich zu. Insbesondere halte ich die Reformation für eine der grössten Errungenschaften des Westens, sie war wohl wirkungsmächtiger und vor allem auch segensreicher als die Französische Revolution. Heute vernachlässigt die Reformierte Kirche allerdings ihr Kerngeschäft auf geradezu selbstmörderische Art und Weise. Wenn ich in die Kirche gehe, möchte ich an keiner Veranstaltung von Greenpeace oder Public Eye teilnehmen. Oft höre ich heute in der Kirche ein einziges Gebet, ein paar verschämte Sätze aus der Bibel, und der Rest ist linker Quark. Eine solche Kirche braucht niemand mehr. Eine solche Kirche geht unter.

Markus Somm, 56

Markus Somm, Historiker und Publizist, arbeitete bei Radio Lora, dem «Tages-Anzeiger» und der «Weltwoche». Von 2010 bis 2018 war er Chefredak-
tor und Verleger der «Basler Zeitung» (BaZ). Er hat auch Bücher veröffentlicht. Nun hat er mit der Klarsicht AG die Satirezeitschrift «Nebelspalter» übernommen. Somm ist verheiratet und fünffacher Vater.