Recherche 16. Oktober 2015, von Remo Wiegand

Burkina Faso bangt um die freien Wahlen

Entwicklungshilfe

Vor den freien Wahlen gerät das westafrikanische Land ins Taumeln. Hilfswerken, die sich dort engagieren, macht der Aufbruch aber mehr Hoffnung als Angst.

Die Schweiz und Burkina Faso sind zwei ungleiche Schwestern: hier der reiche Kleinstaat im Herzen Europas, dort das mausarme Land im staubigen Westafrika. Hier eine stabile Demokratie kurz vor Routinewahlen, dort ein taumelnder Staat vor den ersten freien Wahlen seit Jahrzehnten. Und doch verbindet die Schweiz viel mit ihrer afrikanischen Schwester: Beide sind – relativ zur Umgebung – politisch stabile Binnenländer. Sowohl Schweizer wie auch Burkinabé gelten als zurückhaltend und fleissig. Die Verwandtschaft zeigt sich in engen Beziehungen: Burkina Faso ist ein Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Investitionsvolumen: rund dreissig Millionen Franken jährlich. Auch viele kirchliche und private Hilfswerke sind in Burkina Faso tätig. Jährlich pendeln rund tausend Personen zwischen den beiden Welten. So wie Sam Barthélémy und Vreni Jean-Richard vom Fastenopfer, die an diesem Morgen einer Pressekonferenz in Luzern beiwohnen – ungeplant und nicht ganz freiwillig: Ihr Flugzeug konnte nicht nach Ougadougou fliegen, da rund um den Flughafen geschossen wurde. Letzte Rückzugsgefechte der Militär-Putschisten. Was bedeuten die politischen Wirren in Burkina Faso für Schweizer Hilfswerke und ihre Mitarbeitenden? Sind sie und ihre Arbeit bedroht?

Tage der Angst. Die Situation ist zumindest angespannt. Der Burkinabé Sam Barthélémy durchlebte im September Tage der Angst, als sich Putschisten und Militär über das Wohngebiet seiner Familie hinweg beschossen. Dennoch überwiegt für das katholische Hilfswerk Fastenopfer das Positive: «Das Volk hat sich jetzt zweimal gegen undemokratische Kräfte aufgelehnt», sagt die Schweizer Programmverantwortliche Vreni Jean-Richard. «Dazu haben wir mit Projekten beigetragen, welche die Zivilgesellschaft stärkten.»

Derzeit bereitet Fastenopfer mit dem reformierten Partnerwerk Brot für alle die ökumenische Kampagne 2016 vor, die den Goldrausch in Burkina Faso thematisiert. Auch da sind Dinge in Bewegung geraten: Die Übergangsregierung hat ein Gesetz verabschiedet, das Minengesellschaften gegenüber der betroffenen Bevölkerung stärker in die Pflicht nimmt. «Seit dem Sturz der alten Regierung wird viel offener über die Probleme gesprochen», sagt Jean-Richard.

Für mehr Föderalismus. Kleinere Schweizer Hilfswerke spüren die Auswirkungen der jüngsten Unruhen in Burkina Faso ebenfalls. Nicht nur die positiven: «Wir mussten die Eröffnung eines Kindergartens verschieben, weil Büros der Schulbehörden geschlossen wurden», bedauert Brigitte Keusch, Präsidentin des Vereins «Zukunft für Burkina Faso» aus Muri AG, der sich seit 2009 für das Schulwesen in Ouahigouya im Norden des Landes engagiert.

Wenig begeistert waren auch die Kinder der Blindenschulen, die von der in Vevey ansässigen Mission Evangelique Braille betrieben werden: «Für Blinde sind Unruhen doppelt schwierig: Sie hören etwas, aber sehen und verstehen es oft nicht», sagt Generalsekretär Heinz Rothacher. Die vier Schulen des Hilfswerks mussten im September eine Woche schliessen, weil deren Schüler nicht mehr auf die Strasse konnten.

Ein Rückzug aus Burkina Faso ist für Rothacher indes kein Thema: «Die persönlichen Kontakte sind sehr gut und die Menschen ungemein dankbar. Das Land ist ideal für Entwicklungszusammenarbeit.» Rothachers nächste Reise ist für Dezember vorgesehen. Brigitte Keusch ist bereits jetzt wieder im Land – zur verspäteten Eröffnung des Kindergartens.

Wie aber soll es nun weitergehen in Burkina Faso? Den Schweizer Entwicklungshelfern kommt der angestossene, aber noch fragile Demokratisierungsprozess entgegen. «Wichtig ist, dass die neue Regierung mehr auf das Volk hört», sagt Rothacher. «Ein Klientelismus wie unter Präsident Compaoré schadet dem Land.» Fastenopfer wünscht, dass die Zentralregierung mehr Kompetenzen an lokale Dorfgemeinschaften abtritt, wo man sich solidarischer und effizienter um die angespannte Ernährungssitua­tion kümmern könne. «Die Burkinabé haben durch den Umbruch viel Selbstvertrauen gewonnen», sagt Jean-Richard, «das kann ein Signal für ganz Afrika werden.»

Der Sieg über die alte Garde

Vor einem Jahr beendete in Burkina Faso ein Volkaufstand die Ära von Präsident Blaise Compaoré, der seit 1987 autoritär regiert hatte. Eine Übergangsregierung kündete freie Wahlen für den 11. Oktober 2015 an. Am 19. September putschte sich die alte Präsidentengarde Compaorés an die Macht. Erneut folgten Aufstände, die 11 Tote und rund 300 Verletzteforderten. Nachdem das reguläre Militär eingriff, gaben die Putschisten auf. Ihr General floh in die vatikanische Botschaft, die ihn an die Behörden aus­lieferte. Wahlen sind nun für November vorgesehen.

Die Aufrechten. Prägend für Burkina Faso war der charismatische Sozialist und ehemalige Priesteramtskandidat Thomas Sankara, der das Land 1983 bis 1987 regierte. Er taufte die ehemalige französische Kolonie Obervolta in Burkina Faso um: das «Land der aufrechten Menschen». Sankara kam 1987 bei einem von seinem ehemaligen Compagnon Compaoré orchestrierten Putsch ums Leben.