Recherche 16. November 2020, von Felix Reich

Der Pietist und kollegiale Kämpfer

Kirche

Daniel Reuter verlässt nach 13 Jahren den Kirchenrat. Der erklärte Fan des Parlaments hielt in der Exekutive die Kollegialität hoch und hat das Kämpfen trotzdem nie verlernt.

Kollegial, auf korrekte Abläufe bedacht. So trat Daniel Reuter an den Sitzungen der Zürcher Kirchensynode auf. Nun tritt der Kirchenrat nach 13 Jahren zurück. Der Ratssekretär des Stadtparlaments von Uster übernimmt im Januar auch das Parlamentssekretariat der Kirchgemeinde Zürich. Damit verbinden sich zwei seiner beruflichen Leidenschaften. Er ist ein «Fan starker Parlamente» und wirbt für Gemeindefusionen auf freiwilliger Basis.

Der Ärger zum Schluss

«Kampferprobt»: So beschreibt sich Reuter während des Gesprächs im schmucklosen Sitzungszimmer des Stadthauses von Uster. Es ist die andere Seite des Kirchenpolitikers, der auch im Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) sitzt. Er eckt an. Um den Sitz in der Synode, der er 20 Jahre angehörte, musste der einstige Generalsekretär der EVP wiederholt kämpfen.

Das Kämpfen hat der Schwamendinger auch mit 59 Jahren nicht verlernt. Die Verschiebung der Ersatzwahl hält Reuter für verlogen und undemokratisch. «Das können Sie ruhig so schreiben.» Der politische Betrieb könne trotz Pandemie weitergehen. Ohne Not werde seine Fraktion «voraussichtlich bis Juni aus der Exekutive ausgesperrt».

Überrascht vom eigenen Erfolg

Überhaupt: seine Fraktion. Reuter kam als erstes Mitglied der konservativen Evangelisch-kirchlichen Fraktion in der Kirchenrat. Der pie­tistische Flügel habe in der Kirche eine schlechte Lobby. «An uns werden höhere Ansprüche gestellt.»

Den Kirchenrat nimmt Daniel Reuter von der Kritik explizit aus. Hier fühlte er sich sogleich respektiert. «Wir hatten immer eine ausgezeichnete Gesprächskultur.» Zuweilen staunte er selbst, wenn er für seine Anliegen Mehrheiten fand.

Die Tante im Osten

Daniel Reuter ist in der Landeskirche zu Hause. Und wie das so ist mit der Heimat, muss man sich an ihr manchmal abarbeiten. Als Jugendlicher warf er dem Gemeindepfarrer eine Nähe zur DDR vor und trat nach der Konfirmation aus der Kirche aus. In der Freikirche hielt er es freilich nicht lange aus, doch der Kommunismus ist für ihn ein emotionales Thema geblieben.

Bis heute reagiert Reuter allergisch auf die Verharmlosung sozia­listischer Diktaturen. Sein Vater war kurz vor dem Mauerbau in den Westen geflüchtet. Der Kontakt mit der Tante im Osten zeigte Reuter früh, welches Unrechtsregime sich hinter dem Kürzel DDR verbarg.

Christus im Zentrum

Skeptisch sieht Reuter Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Palästinenser einsetzen. Auch wer mit ihm über Israel diskutiert, lernt den Kämpfer in ihm kennen. Das kann den Stiftungsrat von Brot für alle und Heks in Konflikt bringen mit den eigenen Hilfswerken.

Ungeachtet seiner Kritik spricht Reuter mit hohem Respekt von der Arbeit der Hilfswerke. Da kommt sie wieder zum Vorschein, seine loyale, menschenfreundliche Seite. Und im Stadthaus, das einst der Architekt Bruno Giacometti entworfen hat, zitiert der Pietist unverhofft den Begründer der religiös-sozialen Bewegung, Leonhard Ragaz: «Wer meint, um Gott allein zu dienen, den Menschen am Wege lassen zu dürfen, schlägt Christus ins Gesicht.» Mit der politischen Weite der reformierten Kirche kann Reuter gut leben, solange klar ist, wer ihr Zentrum ist: Christus.

Wahl vertagt

Eigentlich hätte die Wahl des Nachfolgers von Daniel Reuter am 24. November erfolgen sollen. Das Büro der Synode verschob sie auf den 23. März. Begründet wird die Absetzung des Traktandums damit, dass die Fraktionen zurzeit teilweise vir­tuell tagen und sich der Kandidat nicht persönlich vorstellen kann. Damit bleibt der Kirchenratssitz sicher bis April vakant. Die Evangelisch-kirchliche Fraktion portiert Pfarrer Oliver Madörin.